Seligsprechung ökumenisch? Chronik einer verpassten Chance
Die katholische Seligsprechungspraxis ist ein ökumenischer Stolperstein. Denn die Vorstellung, Verstorbene als Fürsprecher bei Gott anzurufen, ist für Protestanten befremdlich. Nun sind in Lübeck drei Kapläne seliggesprochen worden. Sie hatten gemeinsam mit einem evangelischen Pastor gegen die Verbrechen des NS-Regimes protestiert und waren hingerichtet worden. Obwohl die Seligsprechung das Miteinander der Konfessionen nicht erleichtert, beflügelt sie die gemeinsame Erinnerung an die vier Lübecker Märtyrer.
25.06.2011
Von Bernd Buchner

Der 10. November 1943 war ein grauer Herbsttag mitten im Zweiten Weltkrieg. Im Hamburger Gefängnis Holstenglacis verrichtete der Henker seinen schaurigen Dienst. Abends um 18 Uhr starben binnen weniger Minuten vier Geistliche unter dem Fallbeil. Der evangelische Pfarrer Karl Friedrich Stellbrink sowie die katholischen Kapläne Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller hatten von der Kanzel und in Flugschriften gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten protestiert. "Ihr Blut floss ineinander", berichteten Augenzeugen. Es war das einzige ökumenische Martyrium in der Zeit des Nationalsozialismus.

Rund 8.000 Teilnehmer

Am Samstag hat die katholische Kirche die drei Kapläne in Lübeck seliggesprochen. Es war eine beeindruckende Feier mit insgesamt an die 8.000 Teilnehmern. Unter ihnen war auch Stellbrinks jüngste Tochter Waltraut Kienitz. Der Akt der Seligsprechung erfolgte in Form eines ritualisierten Gesprächs zwischen dem Hamburger Erzbischof Werner Thissen und dem Präsidenten der vatikanischen Kongregation für die Heiligsprechungen, Kardinal Angelo Amato. Thissen stellte den Lebensweg der Kapläne vor und bat um die Seligsprechung, die Amato durch Verlesen eines entsprechenden Dekrets von Papst Benedikt XVI. gewährte.

Hamburgs Erzbischof Werner Thissen (rechts) mit dem Seligsprechungsdekret. Links Kardinal Angelo Amato, neben ihm Übersetzer Markus Tymister. Foto: dpa

Der Protestant Stellbrink wurde nicht seliggesprochen. Kirchenrechtlich wäre das möglich gewesen, doch hätte man dafür sein tatsächliches oder angenommenes Einverständnis benötigt. Das war selbstverständlich nicht zu bekommen. Stattdessen fand ein "ehrendes Gedenken" statt, auch im Rahmen einer Feier am Vorabend der Seligsprechung, in der Lübecker Lutherkirche. Dort hatte Stellbrink viele Jahre lang gewirkt - dort stand er am Palmsonntag 1942, wenige Stunden nach dem verheerenden Bombenangriff auf Lübeck. Mit rußgeschwärztem Gesicht machte er die Nazis für die Zerstörungen verantwortlich und sagte: "Die Lübecker werden wieder beten lernen."

Leitende Kirchenvertreter wie der evangelische Bischof Gerhard Ulrich und Kardinal Walter Kasper versuchten in ihren Ansprachen, sich der ökumenischen Problematik des Vorgangs zu nähern. Die katholische Seligsprechungspraxis ist ein Stolperstein für das Miteinander der Konfessionen. Heilige und Selige gelten in der katholischen Kirche als Fürsprecher bei Gott – eine Vorstellung, die Protestanten fremd ist. Kasper sagte, die hier vollzogene Seligsprechung proklamiere lediglich öffentlich jene, die Jesus in der Bergpredigt längst vollzogen habe. Ähnlich Ulrich: "Die vier Lübecker Märtyrer sind für mich von Jesus selbst selig Gesprochene." Für evangelische Christen geschehe die Seligsprechung bereits in der Taufe.

"Das Christentum ist keine Wellness-Religion"

Wenn sich die Kirchen aber einig sind, dass Seligsprechung etwas anderes ist als ein formaler Vorgang des katholischen Kirchenrechts, warum fanden der Prozess und die abschließende Zeremonie überhaupt statt? Warum hat das Erzbistum Hamburg nicht einfach auf den im Jahr 2004 begonnenen Seligsprechungsprozess verzichtet? Warum haben die Kirchen nicht Möglichkeiten einer ökumenischen Neudefinition der Seligsprechung ausgelotet und Wege gesucht, das Gedenken an die vier Lübecker Märtyrer zu verfestigen, ohne die drei Kapläne in das Korsett eines ökumenewidrigen Akts zu zwängen? Protestanten und Katholiken haben eine Chance verpasst, mit der Ökumene ernst zu machen.

Die Seligsprechungsfeier auf der Lübecker "Parade" aus der Vogelperspektive. Links der evangelische Dom der Hansestadt. Foto: dpa

Die Seligsprechung der Lübecker Kapläne war aber nicht zwangsläufig der falsche Weg. Sie zeigte die Grenzen einer in Traditionen und Formalitäten gefesselten Ökumene. Sie zeigte aber auch, wie lebendig und reflektiert die gemeinsame Erinnerung an die Märtyrer von 1943 ist. Ulrich sagte, er verstehe ihr Glaubenszeugnis als "aufrüttelnden Ruf nach vorwärts". Auch seine eigene Kirche nahm der Bischof in die Pflicht: "Es gab zu wenig Widerstand, zu viel Verstrickung." Zu spät etwa habe die Kirche sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu Stellbrink bekannt, erst 1993 sei er rehabilitiert worden.

Kasper wiederum nahm in seinem Appell, dass man für den Glauben auch buchstäblich seinen Kopf hinhalten müsse, auch Missverständlichkeiten in Kauf. Man könne die derzeitig heftige Kirchenkritik nicht mit einem "angepassten, stromlinienförmigen Kulturchristentum" beantworten, so der langjährige Präsident des vatikanischen Einheitsrates streng. "Das Christentum ist keine Wellness-Religion." Die kantigen Hinweise des Kardinals konnte man durchaus als Kritik am Protestantismus auffassen, der von der katholischen Kirche gerne in die Nähe allzu weltlicher Tendenzen gerückt wird.

Betretene Mienen bei den Protestanten

Derlei Stilfragen durchzogen das gesamte Pontifikalamt. Warum Kasper unbedingt mit dem Primizgewand eines der Ermordeten auftreten musste, blieb unklar. Eine Form von Reliquienverehrung? Und warum Thissen gleich nach der Seligsprechung um die Fürsprache der Kapläne bat, war zwar verständlich, trieb den anwesenden evangelischen Kirchenleuten aber betretene Mienen ins Gesicht. Ökumenisch sensibel war das nicht. Auch die kurzfristige Absage Amatos für die Vorabendfeier in der Lutherkirche wurde als peinlich empfunden. Ebenso, dass Bischof Ulrich beim Eintrag ins Lübecker Goldene Buch vergessen wurde. Aber das ging aufs Konto der Stadt. Bürgermeister Bernd Saxe entschuldigte sich hernach ausdrücklich.

Nun geht das Gedenken an die Lübecker Märtyrer also mit drei Seligen und der "ehrenvollen" Erinnerung an Pastor Stellbrink weiter. Sie sind Vorbilder im Glauben, die die Christen in der Gegenwart stärken können, und insofern auch Vorbilder für die Ökumene. Martyrium muss übrigens nicht immer gleich den Tod bedeuten. Ein Märtyrer ist zunächst ein Glaubenszeuge. "Wir brauchen Zeugen", sagte Kardinal Kasper, "und gerade in der verbreiteten Glaubwürdigkeitskrise des Christentums in unseren Breiten können nur Zeugen wirklich überzeugen."


Bernd Buchner ist Redakteur bei evangelisch.de und zuständig für das Ressort Kirche + Religion.