Kompromiss: "Es geht um die Lebensfähigkeit des Kindes"
In der kontrovers geführten Debatte über Embryonen-Gentests gibt es einen Kompromissvorschlag. Die Abgeordneten Lammert, Röspel und Hinz wollen einen Mittelweg zwischen Ablehnung und Zulassung der Präimplantaionsdiagnostik (PID) ermöglichen.

Wie die "Berliner Zeitung" am Freitag meldete, soll der Gesetzentwurf von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und den Abgeordneten Rene Röspel (SPD) und Priska Hinz (Grüne) in einem entscheidenden Punkt geändert werden: Die PID soll grundsätzlich verboten werden und nur dann als nicht rechtswidrig gelten, wenn die erbliche Belastung der Eltern mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Fehl- oder Totgeburt führen würde.

Bisher war in dem Gesetzentwurf als Ausnahme vom PID-Verbotes auch der wahrscheinliche Tod des Kindes im ersten Lebensjahr vorgesehen. Diese umstrittene Passage ("oder zum Tod des Kindes im ersten Lebensjahr") werde nun ersatzlos gestrichen, hieß es. Dadurch dürfte PID nur bei Eltern angewandt werden, deren Kind überhaupt nicht lebensfähig wäre, falls es die Krankheit erbt.

"In der Expertenanhörung im Bundestag hat sich gezeigt, dass das Kriterium des ersten Lebensjahres willkürlich ist", sagte Hinz der "Berliner Zeitung". Durch die Klarstellung werde die Zielrichtung des Antrags noch geschärft: "Es geht um die Lebensfähigkeit des Kindes", betonte die Grünen-Politikerin. Der Gesetzentwurf könnte sich zu einem Mittelweg zwischen Zulassung der PID und komplettem Verbot entwickeln.

Verbots-Befürworter wollen umschwenken

Bei Abgeordneten, die bereits den Antrag für ein PID-Verbot unterschrieben haben, hieß es dem Zeitungsbericht zufolge, nun sei der Gesetzentwurf tatsächlich eine Alternative. Niemand wolle den Eltern schließlich zumuten, sehenden Auges eine Tot- oder Fehlgeburt erleben zu müssen. Anhänger einer Zulassung der PID hätten signalisiert, bevor es zu einem kompletten Verbot komme, würde man dem Antrag Hinz/Röspel/Lammert zustimmen.

Derzeit herrscht im Bundestag zwischen Gegnern und Befürwortern praktisch ein Patt: Den Verbotsantrag haben bisher 196 Abgeordnete unterzeichnet. Der Antrag für eine begrenzte Zulassung der PID, sollte das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schwere Erbkrankheit bekommen, hat 216 Unterstützer. Den Gesetzentwurf von Hinz/Röspel/Lammert haben bisher 36 Parlamentarier unterschrieben. 172 Abgeordnete sind noch unentschlossen.

Bei der Präimplantationsdiagnostik werden im Reagenzglas erzeugte Embryonen vor dem Einpflanzen in den Mutterleib genetisch untersucht. Sie war bisher in Deutschland verboten. Eine Neuregelung steht an, weil der Bundesgerichtshof im Juli 2010 das Verbot faktisch aufhob und die PID in bestimmten Fällen für zulässig erklärte.

Ärztekammer für begrenzte Zulassung der PID

Die Bundesärztekammer hat sich am Freitag für die begrenzte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgesprochen. Die Untersuchung des Embryos auf mögliche Erbkrankheiten sei ethisch weniger problematisch als ein Schwangerschaftsabbruch, sagte Jan Schulze, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer, bei der Vorstellung eines Memorandums der ärztlichen Standesorganisation am Freitag in Berlin.

"Wir stimmen der PID zu - in engen Grenzen und unter kontrollierten Voraussetzungen", sagte Schulze. "Wir sollten uns nicht pharisäerhaft verhalten und an die betroffenen Frauen denken." Bei der PID werden im Reagenzglas erzeugte Embryonen auf Erbkrankheiten untersucht und gegebenenfalls nicht in den Mutterleib eingepflanzt. Der Bundestag will in der ersten Juliwoche über die umstrittene Präimplantationsdiagnostik entscheiden. Dabei gilt kein Fraktionszwang.

Die betroffenen Paare müssten sich vor der PID unabhängig beraten lassen, ergänzte der Berliner Gynäkologe Heribert Kentenich die Vorstellungen der Bundesärztekammer. Der Embryo dürfe nur auf solche Erbkrankheiten untersucht werden, die möglicherweise für eine schwere Erkrankung infrage kämen.

"Auch die Geschlechtsbestimmung oder das Alter der Eltern dürfen keine Rolle spielen", sagte Kentenich. Er verwies auf andere Länder, in denen die PID bereits seit Jahren praktiziert werde. Für Deutschland rechnet er mit etwa 200 Fällen pro Jahr.

epd/dpa/evangelisch.de