Geschmeidig wie die Katze und investigativ im Schwarm
Der elfte Grimme Online Award zeigt die Vielfalt der Qualität im Netz. Zu den Gewinnern gehört das Internet-Projekt "GuttenPlag Wiki". Die "faire und unvoreingenommene Arbeitsweise der Administratoren des Wikis" überzeugte die Jury des renommierten Medienpreises.
23.06.2011
Von Ralf Siepmann

Es ist nicht einfacher geworden, das Qualitative im Netz zu finden. "Früher", fasste die Jury des Grimme Online Award 2011ihre Eindrücke nach der Sichtung von fast 2 100 Einsendungen zusammen, "war das Internet übersichtlicher, die Aufsteiger eines Jahres ließen sich leichter erkennen." Inzwischen sei das Netz vielfältiger geworden, gehöre die Idee "einer einheitlichen, von einer Netzavantgarde getragenen Internetkultur" der Vergangenheit an. Punktgenauer lässt sich kaum ausdrücken, was heute einen Trend im Netz ausmacht: eine beeindruckende Vielfalt an Inhalten, Motiven, Konzepten, Design und Gestaltung. "Die diesjährigen Preise belegen, welche Bandbreite es im Netz gibt."

[listbox:title=Die Preisträger im Netz[Kategorie Information: DRadio Wissen und law blog##Kategorie Wissen und Bildung: Neusprechblog und Prison Valley##Kategorie Kultur und Unterhaltung: Reisedepesche und Wortwuselwelt##Kategorie Spezial: GuttenPlag Wiki und Was Vorratsdaten über uns verraten##Publikumspreis: GameOne.de]]

Dieses Resümee zog Uwe Kammann, Direktor des Grimme-Instituts, bei der Verleihung der Awards zum Finale des Medienforums NRW in Köln, die in vier Kategorien an acht Gewinner vergeben wurden. "Das Netz ist politisch, kreativ, innovativ und dazu ein wichtiges Element einer kollektiven Kontrolle und individueller Teilhabe", sagte Kammann. Qualität sei "keine Chimäre".

Jury zeichnet Arbeitsweise von "GuttenPlag Wiki" aus

Eine besonders starke positive Publikumsresonanz in der Vulkanhalle im Stadtteil Ehrenfeld löste der Preis für "GuttenPlag Wiki" in der Kategorie Spezial aus. Ihn nahm Tim Bartel, Sprecher der Enzyklopädie-Webseite Wikia, stellvertretend für die vielen Tausend Mitarbeiter des Projekts entgegen. Als wolle er die virtuelle Geschmeidigkeit der Rechercheplattform noch einmal symbolisieren, trug Bartel ein T-Shirt mit aufgedruckter Katzensilhouette. Von Moderatorin Amelie Fried um ein Wort zum Ziel der Aktion gebeten, nannte Bartel "die Dokumentation wissenschaftlichen Fehlverhaltens". Es sei nicht um den Sturz des früheren Bundesministers gegangen. Die "faire und unvoreingenommene Arbeitsweise der Administratoren des Wikis" war dann auch für die Jury ausschlaggebend. "GuttenPlag Wiki" verdeutliche, dass Textvergleiche gut "kollaborativ" organisiert werden könnten.

Einen Quantensprung in der Verknüpfung von Radio und Internet zeichnete die Jury mit der Preisvergabe in der Kategorie Information an DRadio Wissen des DeutschlandRadios aus. Prämiert wurden das Konzept und die Redaktion. Die auf der Website eingestellten Manuskripte, Linktipps, Bilder und eigenen Blog-Beiträge seien weit mehr als klassische Programmbegleitung, zudem nutzerfreundlich, aktuell und informativ. "Hirn will Arbeit", der Slogan für das Onlineangebot, mache die Ambition deutlich, unterstrich der für das Konzept verantwortliche Redakteur Dietmar Timm in Köln.

Der Award könnte im Übrigen wohl auch die manchmal verzweifelten Anstrengungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Blick haben, die traditionellen Medien mit der durchweg jüngeren Internetcommunity zu vernetzen. "So muss Radio im Netz sein", zog die Jury ein Fazit und ermunterte jedenfalls andere zu weiteren Schritten dieser Art.

Kreativität und besondere Ideen zählten für die Jury

Die zweite Auszeichnung in der Kategorie Information machte alsdann ein Phänomen bewusst, das typisch ist für einen weiteren Trend im Netz der Gegenwart: Kreative und originelle sowie gesellschaftlich relevante Webauftritte sind nicht zwingend von größeren Potentialen wie Medienunternehmen und kostspieligen Ressourcen abhängig. Udo Vetter, Fachanwalt für Strafrecht und Lehrbeauftragter für Medienrecht, heimste ihn für Idee und Redaktion seines "law blog" ein. Regelmäßig und mit viel Ironie berichte Vetter über seinen Alltag als Strafverteidiger, eröffne er den Usern einen Blick hinter die Kulissen des juristischen Betriebs und zeige er nicht zuletzt die menschliche Seite der Justiz. Was die Juroren auch für Vetter einnahm – seine klare Haltung gegen Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung.

Nicht größere Apparate, sondern Ideen, spielerischer Umgang mit Sprache und Bildern sowie ein langer Atem standen bei Brigitte Krämer und Nina Pagalies am Anfang. Sie wurden in der Kategorie Kultur und Unterhaltung für die Kinderwebsite wortwusel.net mit dem Grimme Online Award belohnt. "Einfach anders" sei das mit Gedichten, Geräuschen und allerlei wuseligem Getier gestaltete Onlineangebot, befand die Jury. Es setze sich von den Klischees der knallbunten Kinderwebsites und der ständigen Reizüberflutung ab und künstlerische, abstrakte sowie kreative Inhalte dagegen.

Befragt nach ihrem zentralen Motiv, eine Website für die Gruppe der sechs- bis zwölfjährigen zu entwickeln, nannte Pagalies gegenüber evangelisch.de "die Freude an der Lyrik". So ist aus der Passion eine virtuelle Spielwelt geworden. Kinder lernen Gedichte kennen und den Klang der Wörter durch die Verschiebung von Silben verstehen. Der digitale Kinderspielplatz, auf dem die Kleinen zugleich medienkompetent(er) gemacht werden, beeindruckte auch das zuständige Bundesministerium in Berlin. Noch bis zum Februar 2012 läuft die Förderung aus Bundesmitteln.

Die Preisträger symbolisieren die Vielfältigkeit des Internets

Das Netz, lautet ein Vorurteil, gehe oberflächlich und destruktiv mit Sprache um. Beim Grimme Online Award schaffte es mit dem "Neusprechblog" in der Kategorie Wissen und Bildung ein weiteres Gegenbeispiel auf die Preisträgerliste. Das Netz kann nämlich durchaus Sensibilität für Sprache wecken. Die Autoren Martin Haase und Kai Biermann spüren seit 2005 Worthülsen und verbalen Verschleierungstaktiken nach. "Stresstest", "Biosprit", "sozial ausgewogen" oder "Restrisiko" – die "Neusprechblogger" ergründen und reflektieren die Bedeutung solcher schillernder Begriffe. "Neusprechblog", erläuterte Biermann, versuche aufzuzeigen, wie hier durch Sprache manipuliert und Wahrheit verschleiert werde.

Ein beliebtes Spiel von Medien in der Berichterstattung über Fußballspiele ist die Wahl des "Spielers des Tages". "Blogger des Abends" in Köln wäre in dieser Lesart Kai Biermann geworden. Der "Zeit"-Online-Redakteur ist Mitglied des Teams, das in der Kategorie Spezial für das Projekt "Verräterisches Handy: Was Vorratsdaten über uns verraten" ausgezeichnet wurde. Das interaktive Angebot auf der Website der Wochenzeitung hatte laut Jury eindrücklich veranschaulicht, was Vorratsdatenspeicherung für jeden Einzelnen bedeutet.
Von Lyrik für Sechsjährige bis zu "Big Brother" frei nach Orwell für Jedermann – ein wahrlich facettenreiches Spektrum. Oder auch: die neue Qualität im Netz. Im Rahmen der Verleihung des Grimme Online Awards wurde auch der klicksafe Preis 2011 vergeben.