Obamas Afghanistan-Dilemma: Hohe Kosten, kriegsmüdes Volk
Zu teuer, zu leidvoll, zu lang. US-Präsident Barack Obama muss mit seinen Plänen für den Truppenabzug aus Afghanistan die zunehmende Zahl der Kriegskritiker besänftigen. Gelingt es ihm nicht, könnte ihm der geerbte Waffengang im Wahlkampf große Probleme bereiten.
22.06.2011
Von Marco Mierke

Es ist alles andere als üblich, dass sich die Bürgermeister amerikanischer Städte in die Außenpolitik ihres Landes einmischen. Doch als sie sich zu Beginn dieser Woche mit US-Präsident Barack Obama in Washington trafen, brachen sie ihr Schweigen.

Mit einer scharfen Resolution forderten sie seine Regierung auf, den Militäreinsatz in Afghanistan und auch im Irak abzubrechen. Lokalpolitiker, die ein Ende des Krieges fordern - das hat es seit vier Jahrzehnten, seit dem Vietnam-Trauma, nicht mehr gegeben.

Die Verbitterung der Bürgermeister hat einen simplen Grund. Während sie jeden Cent aus den Ecken kratzen müssen, um ihren Bürgern so Grundlegendes wie befahrbare Straßen oder geöffnete Schulen bieten zu können, geben die USA in diesem Jahr rund 120 Milliarden Dollar (83,3 Milliarden Euro) für das "Nation Building" in Afghanistan aus.

Jobs für Taliban statt für amerikanische Stadtangestellte

Allein im Mai hätten sie 28.000 Mitarbeiter auf die Straße setzen müssen, wehklagen die Bürgermeister. Gleichzeitig würden sie zusehen, wie Amerika Millionen in Jobprogramme für ehemalige Taliban-Kämpfer in Afghanistan steckt. Der demokratische Senator Joe Manchin kleidete ihren Verdruss am Dienstag in eine provokante Frage: "Werden wir uns entscheiden, Amerika wieder aufzubauen oder Afghanistan? Im Lichte der finanziellen Sorgen unserer Nation können wir nicht beides tun."

Ob angesichts dieser Kritik genügen wird, was Obama dem Volk am Mittwochabend in einer Fernsehansprache zur besten Sendezeit verkünden wollte, ist fraglich. Vorab verlautete aus dem Weißen Haus, er wolle 30.000 US-Soldaten bis Ende kommenden Jahres heimholen.

Das klingt nach großem Rückzug und nach einem schnelleren, als den Generälen lieb ist. Es bedeutet aber auch, dass zur Präsidentenwahl im November 2012 immer noch mehr als 70.000 Amerikaner am Hindukusch kämpfen werden - und damit eine wesentlich höhere Zahl als zu Obamas Amtsantritt im Januar 2009.

Der "commander-in-chief" der US-Streitkräfte muss befürchten, dafür im Wahlkampf zu bluten. Es hilft wenig, dass er den Waffengang eigentlich nur von seinem Vorgänger George W. Bush erbte und stets als lästiges, aber notwendiges Übel für die amerikanische Sicherheit hinstellt. Unter dem Friedensnobelpreisträger ist der Krieg zum längsten und teuersten in der US-Geschichte geworden. Für die republikanischen Anwärter aufs Weiße Haus, deren Partei den Feldzug immer befürwortete, ist das ein gefundenes Fressen.

Nach zehn Jahren Krieg haben die Amerikaner Afghanistan satt

Selbst der scheidende Verteidigungsminister Robert Gates, der sich immer für einen sehr vorsichtigen Abzug der Truppen eingesetzt hat, gesteht ein, dass der öffentliche Rückhalt für den Anti-Terror-Kampf nach dem Tod des Al-Kaida-Anführers Osama bin Laden weiter verloren gegangen ist. "Es gibt Besorgnisse im amerikanischen Volk, das nach einer Dekade des Krieges müde ist", sagte er. "Der Präsident muss diese Punkte offensichtlich genauso in die Überlegungen einbeziehen wie die Bedingungen im Feld in Afghanistan."

Es sind längst nicht allein die unglaublichen Kosten von 1,3 Billiarden Dollar für die Kriege im Irak und in Afghanistan, die Militäreinsätze im Ausland so unpopulär machen wir lange nicht mehr. Es ist wohl auch das persönlichen Leid, das viele Amerikaner nicht länger bereit sind zu tragen. Viele Familien haben einen der rund 1.600 in Afghanistan gefallenen amerikanischen Soldaten im Bekanntenkreis - oder kennen jemanden, der mit schlimmen körperlichen oder psychischen Wunden heimgekehrt ist. Viele fragen sich, wofür die Qualen.

Doch noch gibt es auch zahlreiche prominente Befürworter für eine weiterhin hohe Militärpräsenz am Hindukusch. Der Vier-Sterne-General, Isaf-Kommandeur und künftige Chef des Geheimdienstes CIA, David Petraeus, versuchte den Präsidenten bis zuletzt davon zu überzeugen, die jüngsten Erfolge gegen die Taliban nicht mit einem überhasteten Abzug zu gefährden. Der republikanische Senator und ehemalige Präsidentschaftskandidat John McCain watschte die Kritiker des Afghanistan-Krieges im Kongress am Dienstag gar als "Isolationisten" ab, die keinen Sinn für amerikanische Geschichte hätten.

dpa