Ökumenischer Widerstand endete unter dem Fallbeil
Das Fallbeil war modern und der Henker Friedrich Hehr erfahren: Innerhalb von weniger als zehn Minuten hat er die vier Lübecker Geistlichen am 10. November 1943 hingerichtet. Ihr Blut, so wird berichtet, sei im Hof der Hamburger Haftanstalt Holstenglacis ineinander gelaufen. Der evangelische Pfarrer Karl Friedrich Stellbrink sowie die katholischen Kapläne Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange hatten von der Kanzel und in Flugschriften gegen die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes protestiert.
21.06.2011
Von Thomas Morell und Bernd Buchner

Der Tod der Geistlichen war der einzige Fall im "Dritten Reich", bei dem evangelische und katholische Christen gemeinsam starben. Das Gedenken an die Kapläne und den evangelischen Pastor gilt seitdem als verbindende Aufgabe der beiden Kirchen. In einer Messe werden am Samstag die drei katholischen Kapläne Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange seliggesprochen. Auch Papst Benedikt XVI. hat den ökumenischen Geist der Seligsprechung betont und die vier Lübecker Märtyrer als "eindrucksvolles Zeugnis der Ökumene des Gebets und des Leidens" gewürdigt.

Gedenken auch an evangelischen Pastor

Ungewöhnlich an der Zeremonie - der am Freitagabend ein evangelischer Gottesdienst in Lübeck vorausgeht - ist, dass zugleich an Karl-Friedrich Stellbrink ehrend erinnert wird. Eine Seligsprechung des evangelischen Pastors wäre theoretisch möglich, allerdings wäre dafür sein tatsächliches oder angenommenes Einverständnis nötig gewesen. Das aber war undenkbar, und auch aus ökumenischen Gründen hat man von dem Gedanken rasch wieder Abstand genommen.

Das diözesene Seligsprechungsverfahren für die drei Kapläne wurde im November 2004 eingeleitet. Prassek, Müller und Lange sind die ersten Seligen des erst 1995 gegründeten Erzbistums Hamburg. Der Vorgang hatte zeitweise zu ökumenischen Verstimmungen geführt, da es Befürchtungen gab, die Erinnerung an das gemeinsame Martyrium könne verdunkelt werden. Der evangelische nordelbische Bischof Gerhard Ulrich wollte sich vorab gegenüber evangelisch.de nicht zur Seligsprechung selbst äußern. Gegen die kürzliche Seligsprechung von Papst Johannes Paul II. hatte er erhebliche Skepsis vorgebracht.

Johannes Prassek (1911-1943)

Johannes Prassek war der politische Kopf der drei katholischen Geistlichen. Die Tötung von behinderten Menschen stieß ihn ebenso ab wie die Misshandlungen der Zwangsarbeiter. Heimlich steckte er ihnen Brot und Kleidung zu. Offen brachte er in Predigten und Gesprächen seine Kritik zum Ausdruck. "Wer soll denn sonst die Wahrheit sagen, wenn es nicht die Priester tun?", antwortete er warnenden Stimmen. Doch da hatte der Spitzel Hans Lüers seine Berichte schon längst an die Gestapo weitergegeben.

Der evangelische Pastor Stellbrink hatte einen ganz anderen Weg hinter sich. Der langjährige Auslandspastor in Brasilien war völkischer Rassist und seit März 1933 NSDAP-Parteimitglied. Das Alte Testament kritisierte er als "jüdisch" und sah in Jesus Christus vor allem einen nordischen Heroen. Doch sowohl mit seiner Partei als auch mit seinem NS-nahen Bischof Erwin Balzer überwarf er sich, so dass die Partei ihn 1937 ausschloss. Stellbrink und Prassek freundeten sich 1941 an, als Kontakte zwischen den Konfessionen noch verpönt waren.

Karl Friedrich Stellbrink (1894-1943)

Nach dem verheerenden Bombenangriff auf Lübeck im März 1942 hatte Stellbrink gepredigt, dass Gott "mit mächtiger Stimme" gesprochen habe. Eine Woche später wurde er von der Gestapo verhaftet, sieben Wochen danach folgte Prassek. Es scheint, als sei den Beteiligten der Ernst der Lage nicht bewusst gewesen. "Na, das wird ja nicht gleich Kopp ab kosten", schrieb Lange nach der Hausdurchsuchung durch die Gestapo. Im Juni wurden auch er und sein Amtsbruder Müller verhaftet.

Selbst für den Volksgerichtshof, der im Juli 1943 in Lübeck die vier Geistlichen zum Tode verurteilte, waren die Urteile ungewöhnlich hart. Müller etwa wurde nichts weiter nachgewiesen als das Abhören feindlicher Sender. Die Todesurteile sollten vor allem den NS-kritischen Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen treffen, dessen Predigten die vier Lübecker abgetippt und verteilt hatten. Galen war damals allerdings zu populär, als dass er verhaftet werden konnte.

Hermann Lange (1912-1943)

Hitler persönlich, so der Kirchenhistoriker Peter Voswinckel, habe die Todesurteile angeordnet, aber jeden Bezug zu Galen aus den Urteilen streichen lassen. Außer den vier Geistlichen waren auch 18 Lübecker Laien verhaftet worden, von denen die meisten zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt wurden. Trauerfeiern waren verboten. Die Familie Stellbrink erhielt nach der Hinrichtung sogar eine Rechnung über 1.500,70 Reichsmark für die Haftzeit. Darunter war auch die Rubrik "Vollstreckungskosten" in Höhe von 122 Reichsmark.

Bemerkenswert ist die Gelassenheit, mit der die vier Geistlichen ihren Tod erwarteten. "Was mich erwartet, ist Freude und Glück", schrieb etwa Prassek. Und bei Lange heißt es: "Heute ist die große Heimkehr ins Vaterhaus, und da sollte ich nicht froh und voller Spannung sein?" Die NS-Justiz hat die Briefe nicht weitergeleitet. Sie erweckten den Eindruck, heißt es in einem Schreiben, die Verurteilten hätten "sich bei Begehung ihrer Straftaten für eine gute Sache eingesetzt". Erst 2004 fand der Historiker Voswinckel die Briefe im Bundesarchiv.

Eduard Müller (1911-1943)

Beide Kirchen gingen mit ihren hingerichteten Geistlichen nach dem Krieg sehr unterschiedlich um. Die katholische Gemeinde feierte bereits am 10. November 1945 das Gedenken an ihre drei Kapläne. Die evangelische Seite tat sich mit ihrem ehemaligen Nazi-Pastor schwer. Über eine innere Wandlung Stellbrinks ist wenig bekannt. Der Lübecker Altbischof Karl Ludwig Kohlwage geht davon aus, dass er am Ende den "wahren Charakter" der NS-Ideologie erkannt hat. Erst 1993 wurde Stellbrink auf Initiative Kohlwages rehabilitiert. Auch das Todesurteil gegen ihn hob man auf.

Die Erinnerung an die vier Lübecker Märtyrer war lange Zeit verdrängt worden, in der Geschichte des NS-Widerstandes fanden sie erst spät Platz. Heute erinnern zahlreiche Straßennahmen an die Geistlichen, für Prassek verlegte der Künstler Gunter Demnig in Osnabrück-Haste einen sogenannten Stolperstein. Die Kirchen feiern das Gedenken an die Gruppe jedes Jahr um den 10. November herum in ökumenischer Gemeinsamkeit. Am Todestag selbst gibt es eine Gedenkmesse in Herz Jesu in Lübeck, am Sonntag darauf eine ökumenische Feier im Kleinen Michel in Hamburg, auf dessen Gemeindegebiet das Gefängnis Holstenglacis liegt.

Die Märtyrer auf Facebook

Eine eigene Internetseite informiert inzwischen über die vier Geistlichen, die auch auf Facebook vertreten sind. Der Filmemacher Jürgen Hobrecht hat zur Seligsprechung eine einstündige DVD-Dokumentation unter dem Titel "Widerstehen im Geiste Christi" herausgebracht. Und Voswinckel, der neben Martin Thoemmes zu den renommiertesten Forschern über die Lübecker Märtyrer gehört, veröffentlichte bereits im vergangenen Jahr einen großzügigen, mit zahlreichen Bildern und Dokumenten versehenen Band unter dem Leitwort "Geführte Wege". Das Pontifikalamt zur Seligsprechung, geleitet von den Kardinälen Angelo Amato und Walter Kasper, am Samstag um 11 Uhr auf der Lübecker Parade wird live von Bibel TV übertragen.

epd/evangelisch.de