"Lichtblick" in der Behandlung von psychisch Kranken
Eine psychische Erkrankung kann jeden treffen. Doch was tun, wenn eine Krise das eigene Leben erschüttert oder Lebenspartner, Sohn oder Tochter betroffen sind? Der sozialpsychiatrische Dienst der Diakonie Hausach hat für die Region Kinzigtal im südlichen Schwarzwald ein erfolgreiches Modell geschaffen, eine Anlaufstelle mit zahlreichen Angeboten für Hilfe und Kontakt. Diakonie heißt hier im wörtlichen Sinne Dienst am Nächsten.
21.06.2011
Von Marijana Babic

Dagmar Buderer ist Diplom-Sozialpädagogin und seit September 2009 Mitarbeiterin der Diakonie in Hausach. Zusammen mit Hans-Peter Bender und Peter Trefzer ist sie zuständig für den sozialpsychiatrischen Dienst für das gesamte Kinzigtal, das zahlreiche Städte und Gemeinden umfasst. Dabei bietet der Dienst nicht nur Sprechzeiten und Gesprächstermine an. Anlaufstellen sind auch die Gruppe "Lichtblick", der chronisch psychisch Kranke angehören, die sich wöchentlich im Gebäude der Diakonie treffen sowie ein künstlerisches Atelier unter der Leitung eines Kunsterziehers. Darüberhinaus gehört auch betreutes Wohnen zum Hilfsangebot.

Verständnis für die Betroffenen

Doch wie funktioniert der sozialpsychiatrische Dienst? "Im Idealfall ist es so, dass Betroffene selbst zu uns kommen, wenn sie merken, dass es nicht mehr rund läuft", sagt Buderer, "die meisten Kontakte knüpfen wir aber, wenn Menschen aus dem Kinzigtal ins Psychiatrische Zentrum Emmendingen kommen, wo wir alle 14 Tage vor Ort sind und das Gespräch anbieten." Ob nun der Betroffene selbst den Kontakt sucht, ob Angehörige um Hilfe bitten oder ob sich Gespräche in der Psychiatrie ergeben, entscheidend ist für die Mitarbeiter der Diakonie vor allem eins: "Uns ist es wichtig, den Betroffenen immer als Person wahrzunehmen, als gleichberechtigtes Gegenüber", sagt Buderer. "Wir sind sehr interessiert an der individuellen Lebensgeschichte, um den Menschen verstehen zu können."

Im Beratungsgespräch selbst werde versucht, Lösungen aufzuzeigen: etwa einen Arzt zu vermitteln, Informationen zu geben, Stabilisierungsgespräche zu führen und Ähnliches. Dabei ist es eine sehr heterogene Klientel, mit der die Mitarbeiter des sozialpsychiatrischen Dienstes in Kontakt kommen: Schizophrene, Psychotiker, Manische, Borderliner oder Depressive gehören dazu. "Die Depressionen sind dabei ganz klar auf dem Vormarsch", sagt Buderer.

Doch was tun, wenn sich ein Betroffener uneinsichtig zeigt und jede Hilfe verweigert? Ein letztes Mittel sei die Zwangseinweisung in die Klinik, so die Sozialpädagogin: Diese sei gesetzlich gerechtfertigt, wenn der Betreffende fremd- oder selbstgefährdend ist. "Aber das ist eine Pufferzone. Fremd- oder Selbstgefährdung kann eine Sache der Definition sein. Neulich hatten wir aber einen klaren Fall. Ein junger Mann, der an einer Psychose erkrankt ist, hat zu Hause die Tür eingetreten. Die Angehörigen fühlten sich bedroht und er wurde zwangseingewiesen."

Deutlich weniger Klinikaufenthalte

Langfristig werde aber versucht, die Menschen in die Gruppe "Lichtblick" zu integrieren, wo sich psychisch Kranke regelmäßig treffen, austauschen und gemeinsame Aktivitäten unternehmen können. Dazu gehören zum Beispiel Ausflüge, Kochstunden, Bastelnachmittage oder sonstige gemeinsame Unternehmungen. Und die Diakonie in Hausach hat nachweislich Erfolg mit ihrem vielschichtigen Netzwerk als Konzept: "In der Psychiatrie Emmendingen bescheinigt man uns, dass deutlich weniger Menschen aus dem Kinzigtal in die Klinik eingewiesen werden müssen. Und das erklärt man mit der guten Arbeit des sozialpsychiatrischen Dienstes."

Ist ein Klinikaufenthalt jedoch unvermeidbar, gibt es für die Zeit danach das betreute Wohnen als Angebot, wenn eine Eingliederungshilfe durch das Landratsamt bewilligt wird. Dabei sollen psychisch Kranke im Alltag unterstützt werden, um einen Rückfall zu vermeiden und werden regelmäßig durch Mitarbeiter des sozialpsychiatrischen Dienstes besucht. Das kann je nach der Hilfsbedürftigkeit des Betroffenen mehrmals wöchentlich der Fall sein oder aber auch in größeren Abständen erfolgen, zum Beispiel 14-tägig.

Die Erfahrungen, die die Mitarbeiter der Diakonie dabei machen, sind völlig unterschiedlich: "Das Spektrum in den Wohnungen reicht von zwanghaft steril bis hin zum totalen Chaos", schildert Buderer, "das ist individuell unterschiedlich. Man darf aber keinesfalls dem Betroffenen das eigene Ordnungskonzept überstülpen."

Kunstatelier als therapiefreie Zone

Das Atelier-Angebot wiederum, bei dem psychisch Kranke zwei Stunden lang nach eigenem Gutdünken malen und gestalten dürfen, findet alle zwei Wochen statt. "Es ist sozusagen eine therapiefreie Zone", erklärt Kunsterzieher Hans-Georg Hirschbiel. "Die Menschen sollen hier einfach mal so sein dürfen, wie sie sind und sich frei durch die Kunst ausdrücken. Das therapiefreie Konzept ist dabei wiederum die Therapie", bemerkt er augenzwinkernd. "Man kann aus Bildern zwar eine Menge herauslesen. Aber das tue ich bewusst nicht. Und genau in diesem Rahmen entstehen wunderbare Kunstwerke."

Doch woher resultieren psychische Krankheiten? Sind es die Gene, die Umwelt, persönliche Problematiken oder ein Mix aus allem? Die Wissenschaft hat diese Frage immer noch nicht abschließend geklärt. "Ich denke, eine Facette des Problems insbesondere bei jüngeren Leuten ist, dass man Kindern heutzutage nichts mehr zumutet", sagt Buderer nachdenklich. "In schwierigen Situationen zieht es ihnen dann den Boden unter den Füßen weg, weil sie nicht belastbar sind. Dies kann einer psychischen Krise die Bahn ebnen. Aber das ist nur eine Facette und es kommt immer auf den einzelnen Fall an. Deswegen nehmen wir die individuellen Charaktere ernst und versuchen, uns in ihre Situation einzufühlen."


Marijana Babic ist freie Journalistin.