Im Krematorium kann man richtig lecker Kaffee trinken. Jedenfalls wenn es ein holländisches Krematorium ist. "Nog een kopje?"- "Ja, aber gern doch." Klaus Niesel (72) lächelt in die Runde. "Richtig schön hier", sagt er. Ein rundum lohnenswerter Tagesausflug ist das, diese Kaffeefahrt ins Krematorium.
Dem Unausweichlichen ins Auge blicken
Die Fahrten werden schon seit 15 Jahren von Hans-Joachim Friedrich (60) veranstaltet, Beerdigungsunternehmer im 44. Jahr und immer noch voller Ideen. Als er anfing, mangelte es in Deutschland noch an Krematorien. Inzwischen sind es so viele, dass die meisten nicht mehr ausgelastet sind. Und dennoch lassen sich noch immer tausende Deutsche aus der Grenzregion in Holland einäschern. Denn es ist dort wesentlich billiger, weil die Gebühren längst nicht so hoch sind. Und dann gibt es noch einen anderen Grund, doch dazu später mehr.
Begonnen hat der Tag morgens um halb acht in Leverkusen. Ein Kleinbus wird auf einen Parkplatz gelenkt, die Teilnehmer sammeln sich. Durchschnittsalter 65 Jahre. "Wir wollen die Dinge vorher klären", sagt Hanns-Dieter Kulozik (68), ein robuster Mann mit schütterem Haar, ein pensionierter Bayer-Manager, der seine Frau Edda an diesem Tag noch oft in den Arm nehmen wird. Klaus Niesel hat die gleiche Haltung: "Irgendwann ist man dran. Davor die Augen zu verschließen, ist doch sinnlos."
Es geht los. Friedrich, angetan mit dunklen Anzug, begrüßt die Mitfahrenden über das Bordmikrofon. "Durch das heiße Wetter haben viele abgesagt. Wir können dadurch die Anlage sehr individuell begehen. Ich melde mich später wieder." Klaus Niesel nutzt den Moment für eine Spezialfrage: Er hat seine Eltern erdbestattet, und die Kinder sollen später mit dazu. "Meine Schwester kommt auf meine Mutter, dann ist die Familie zusammen. Aber wenn ich da jetzt als Urne drauf komme, wie ist das dann mit der Ruhefrist?" In seiner Antwort streift Friedrich verschiedene Feinheiten des deutschen Friedhofsrechts.
Die Umgehung der deutschen Gesetze ist leicht …
Etwa 80 Minuten später fährt der Bus am Krematorium Nedermaas vor, Gemeinde Geleen, bei Maastricht. Ernste alte Bäume und ebenmäßige Hecken stehen auf Grasteppichen. Das Gebäude selbst ist dunkel geklinkert. Aber es bleibt nicht so feierlich. An der Tür wartet Krematoriumsmanager Erik Heuberger, ein lebender Kontrastpunkt mit Mallorca-Teint, knallroter Brille und strahlend weißen Zähnen. Er begrüßt jeden mit Handschlag: "Für mich ist es wichtig, dass Sie sehen, dass wir keine Verbrennungsfabrik sind, sondern mit Menschen arbeiten."
Innen ist das Krematorium hell, an den Wänden hängen Bilder: Seerosen und Abstraktes. Die Teppiche sind bunt gescheckt. "Sowas haben wir in Deutschland nicht", sagt Friedrich. Man findet sich in der Kapelle ein, und dann fordert Heuberger seine Gäste auf, ihre Befangenheit zu überwinden und alles zu fragen, was sie sich bisher nie zu fragen getrauten.
Ein 66-jähriger Herr mit grauem Vollbart räuspert sich. "Wenn jemand widerrechtlich die Urne von hier mit nach Hause nehmen würde - was natürlich keiner tut, nur mal angenommen - wie würde das genau ablaufen?" Nun, das läuft so ab, dass man die Urne nach einer in Holland gesetzlich vorgeschriebenen Liegefrist von 30 Tagen einfach in Empfang nimmt und dann damit tun und lassen kann, was man will.
… obwohl die Urne im Schrank bei uns verboten ist
"Dann kann man sich die Urne - rein theoretisch - also auch zu Hause in den Schrank stellen?" Jawohl, der Herr. Zwar ist man streng genommen gesetzlich verpflichtet, die Asche dem deutschen Friedhofsamt auszuhändigen. Aber man kann es genauso gut auch bleiben lassen, denn das Amt weiß ja von nichts, weil der Betreffende die ewige Ruhe in Holland gesucht hat. Man sollte sich dann allerdings gut überlegen, wem man anschließend davon erzählt. "Denn dann könnte es vorkommen - hatten wir auch schon zweimal - dass dann morgens das Ordnungsamt mit der Polizei vor der Tür steht und die Urne zurückfordert."
Noch eine Frage, wieder rein theoretisch: "Was ist, wenn ich an der Grenze von Drogenfahndern geschnappt werde und die dann die Urne finden?" Dann würden die sich dafür gar nicht interessieren, denn nur Keith Richards hat ja mal von sich behauptet, die Asche seines Vaters geschnupft zu haben, und auch das war nur ein Scherz, wie er hinterher klarstellte. Also auch hier: Kein Problem.
Zum Finanziellen: Sowohl Erd- als auch Feuerbestattungen kosten in Holland nur einen Bruchteil dessen, was im bestattungstechnisch streng reglementierten Deutschland verlangt wird. Und dabei, so hebt Friedrich hervor, müsse man jenseits der Grenze keine Billig-Bestattung befürchten. "Der Holländer hat da eine andere Denkweise. Der geht auf der einen Seite locker damit um, hat aber auf der anderen Seite viel mehr Pietät als wir." Zum Beispiel werde jeder angelieferte Leichnam sofort am selben Tag auch eingeäschert, wohingegen es in Deutschland auch schon mal ein paar Tage dauern könne. Geld für sündhaft teure Kränze kann man sich sparen: "Die Kultur des Holländers ist da etwas anders, das ist alles in einem ganz abgespeckten Rahmen." Die Anlieferung des Verstorbenen in Holland organisiert Friedrich.
Von der Feuerbestattung überzeugt
Der Urnenraum: In unterschiedlichsten Formen und Größen stehen sie im Regal. "Schick", meint Niesel. "Die könnte man sich ja richtig zu Hause hinstellen." Außerdem werden Amulette angeboten, in die man etwas Asche einfüllen kann. "Gleich geht es dann auch noch an die Öfen", kündigt Heuberger an. Aber vorher erst mal ein Stück Kuchen essen. Es gibt Apfel, Aprikose und Kirsch.
"So schön hatte ich es mir hier nicht vorgestellt", sagt der 66-jährige Herr, der ungenannt bleiben will. "Schade, dass man das als Toter gar nicht mehr sieht." Und dann, ein klein wenig verschwörerisch: "Meine Frau und ich haben seit langem den Wunsch, uns den deutschen Gesetzen zu widersetzen. Wir haben so manche schöne Stunde in unserem Garten verbracht, und deshalb wollen wir dort auch beerdigt werden." Bisher wusste er nur noch nicht genau, wie er das anstellen sollte, doch nunmehr ist ein Plan in ihm gereift: Er wird über einen Umweg nach Holland in die Ewigkeit eingehen. "Ich bin sehr beeindruckt und entschlossen." Astrid Neuholz aus Limburg macht die Fahrt schon zum x-ten Mal mit. Ihr gefällt es einfach so gut, dass sie jedes Mal mitfährt. "Mein Mann liegt hier auf Feld 10." Ausgestreut.
Was bleibt vom Körper übrig?
Nach genossenem Gebäck strebt der Tag seinem Höhepunkt entgegen, wobei es genau genommen abwärts geht, in den Keller, in die Unterwelt sozusagen. Nun wirkt alles nüchtern wie in einem beliebigen Technik-Trakt. Nur ein an der Wand stehender Sarg verrät etwas über die Bestimmung der Räume. Wenige Augenblicke später steht die Gruppe vor den Öfen. Die Einschiebvorrichtung erinnert ein bisschen an ein Kofferband auf dem Flughafen. Die Türen sind fest verschlossen. Von der anderen Seite kann man durch ein Bullauge hineinschauen, "aber im Moment ist ja nichts zu sehen", sagt Heuberger.
Frage von Herrn Niesel: "Der Sarg mit der Leiche ist ja nun ein relativ großes Objekt - passt das, was davon überbleibt, dann wirklich in so eine kleine Urne hinein oder schmeißt man einen Teil davon weg?" Friedrich antwortet mit einer Gegenfrage: "Aus wie viel Prozent Wasser bestehen Sie? Na, also! Da bleibt nicht viel von übrig." Er spricht geschäftsmäßig über diese Fragen, seine Züge sind leidenschaftlos.
Heuberger räumt gleich auch noch mit einem anderen Vorurteil auf: "Es gibt immer diese Geschichten von "Die warten erst, bis sie zehn zusammen haben, und dann schieben sie die alle gleichzeitig rein". Das stimmt natürlich nicht." Mehr als ein Leichnam passe ja gar nicht in den Ofen, wie man hier sehe. Friedrich: "Der Tote richtet sich auch nicht noch mal auf - das sind Schauergeschichten." Was stimmt, ist, dass die Asche anschließend auf Edelmetallbestände hin abgesucht wird, und ja, diese werden dann auch gesäubert und verkauft, doch der gesamte Erlös kommt wohltätigen Zwecken zugute, wie Heuberger betont. "Das wird alles ganz streng kontrolliert."
Abgeklärtes Herangehen
Die Haltung der Besucher zu dieser Art von Unterrichtung ist schwer zu ergründen. Einerseits stellen sie wissbegierig Fragen und stecken den Kopf in alle Räume. Aber andererseits tun sie dies mit einer Abgeklärtheit, als ginge sie das alles nicht wirklich etwas an - so als würden sie nur im Auftrag eines fernen Verwandten Erkundigungen einholen. Sie hospitieren hier nur wie Odysseus im Schattenreich.
Eine halbe Stunde später sind sie wieder mitten unter den Lebenden, und der Besuch ist nur noch eine Erinnerung. Alle sind sehr zufrieden. "Ausgesprochen positiv ist mein Eindruck", sagt Hanns-Dieter Kulozik. "Das kann man so in einem Prospekt gar nicht wiedergeben." Und der Tag ist noch nicht zu Ende: Wo man doch nun schon mal in Holland ist, geht's gleich noch in einen Blumenmarkt. Pünktlich zum Abendessen werden alle wieder zu Hause sitzen, von Herrn Friedrich herzlich verabschiedet. "Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg", wird er sagen. "Und vielleicht sehen wir uns noch mal bei anderer Gelegenheit wieder."