"Andy Warhol hat ja prophezeit, jeder Mensch werde mal für 15 Minuten berühmt sein," sagte die bayerische Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler in der Talkshow "Tacheles". Aufgezeichnet wurde die Sendung in der hannoverschen Marktkirche, Phoenix strahlte die einstündige Gesprächsrunde am vergangenen Sonntag aus. [reference:nid=43211]
"Und besonders Jugendliche haben eine große Sehnsucht, vorzukommen, anerkannt zu werden, Freunde zu haben, groß herauszukommen," so die Regionalbischöfin weiter. Die Plattform Facebook bietet diese Möglichkeiten. Ohne große Schwierigkeiten haben die Nutzer dort schnell einen großen Freundeskreis.
Diese Erfahrung machte auch der Medienwissenschaftler Prof. Hendrik Speck: "Ich habe nach einer Fernsehsendung 120 neue Freunde gewonnen. Und - wieweit helfen die mir beim nächsten Umzug?" Für den Geschäftsführer der Bitkom, des Verbandes der Informationswirtschaft, Bernhard Rohleder eröffnen sich durch die sozialen Netzwerke dennoch ganz neue Wege: "Wir sind alle Kommunikationstiere. Insofern scheinen die sozialen Netzwerke einem Urbedürfnis des Menschen zu entsprechen."
Die Anonymität ist eine Gefahr
Die Bloggerin und Internetaktivistin Julia Schramm nutzt täglich mehrmals die Möglichkeit über Twitter kurze Nachrichten für ihre virtuellen Freunde in Netz zu stellen. Für sie ist es "Unsinn, dass man die Menschen dadurch nicht kennenlernt. Natürlich ist es eine andere Form des Kennenlernens und der Auseinandersetzung." Es sei eine Facette des menschlichen Seins, so Schramm.
Für die Regionalbischöfin Breit-Keßler ist dies jedoch nur gegeben, wenn diese nicht vorgetäuscht werde. "Man kann sich ja hinter ganz falschen Identitäten verstecken." Dies kritisiert auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar: "Es ist ein Problem, dass man erst mal den Angaben vertraut, so sind Menschen nun mal gestrickt und die Möglichkeit, in eine andere Identität und damit Vertrauen zu erschleichen, das ist ein Aspekt, der Sorgen macht."
Es gibt kein Vergessen
Um die Anonymität aufzuheben, gibt es Überlegungen, ein virtuelles Kennzeichen zu schaffen. Dieses lehnt der Geschäftsführer der Bitkom, des Verbandes der Informationswirtschaft, Bernhard Rohleder jedoch ab. Seiner Meinung nach, gehört es in einem freiheitlichen Staat wie Deutschland dazu, "dass man sich dazu bekennt, was man im Internet tut, wie im normalen Leben, aber in anderen Ländern ist Anonymität dringend notwendig und insofern auch ein schützenswertes Gut im Internet." Dem stimmte auch der Datenschützer Schaar zu. Die Anonymität ermögliche, dass sich zum Beispiel Menschen mit Suchtproblemen austauschen könnten, ohne erkannt zu werden. "Wenn die mit dem realen Namen unterwegs sein müssten, wäre das nicht in Ordnung."
Und was einmal ins Internet gestellt wird, bleibt erhalten. Das bereitet vor allem dem Medienwissenschaftler Speck sorgen: "Was damit verschwindet, ist der urchristliche Gedanke vom Vergessen können. Vom Verzeihen können. In einer Welt von Bits und Bytes, in der die zweite Festplatte immer billiger ist, taucht das nicht mehr auf."
Wobei sich die Internetaktivistin Julia Schramm sicher ist, "Jesus hätte heutzutage natürlich auch ein Facebook-Account." Für die Regionalbischöfin Breit-Keßler ist allerdings klar, wenn "Jesus heute leben würde, dass er sich mit Facebook kritisch auseinandersetzen würde, aber ich nehme an, er hätte die persönliche Beziehung ganz deutlich vorgezogen. Denn das, was er zu sagen hat, geht nur in der persönlichen Beziehung."
Die nächste Sendung der evangelischen Talkshow "Tacheles" ist erst nach der Sommerpause im September zu sehen. Aufgezeichnet wird die Gesprächsrunde dann wieder in der hannoverschen Marktkirche, ausgestrahlt wird die einstündige Sendung bei Phoenix.
Rosa Legatis arbeitet und lebt als freie Journalistin in Hannover.