Verwaiste Kirchen, weite Wege: Landbevölkerung nimmt ab
Weite Teile Deutschlands sind nach Darstellung der Agrarsoziologin Simone Helmle von Ausdünnung betroffen. Dabei geht es insbesondere um Regionen im Nordosten und Osten, in denen die Bevölkerung zurückgeht. Diese Entwicklung betrifft unter anderem die Arbeitsplatzentwicklung, die Kaufkraft und das Steueraufkommen, aber auch die Kirche. Auf der ersten Landkirchenkonferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland, die am Donnerstag zu Ende ging, erläuterte Helmle die Entwicklung in ländlichen Gebieten.
16.06.2011
Die Fragen stellte Rainer Clos

Welche ländlichen Regionen sind attraktiv und welche sind von Ausdünnung betroffen? Wie wirkt sich das aus?

Simone Helmle: Wir haben in Deutschland weite Gebiete, die sehr stark von Ausdünnung betroffen sind, insbesondere liegen diese Gebiete im Nordosten und Osten. Rückläufige Entwicklungen in der Bevölkerungsdynamik zeigen auch einige Gegenden am Rande der Ballungszentren, etwa des Ruhrgebiets oder Frankfurts. Ausdünnung umfasst verschiedene Prozesse. Neben den Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur sind dies auch die Arbeitsplatzentwicklung, Kaufkraft oder das Steueraufkommen.

Dies heißt lange nicht, dass schrumpfende oder dünn besiedelte Gebiete nicht attraktiv sind. Sie finden in diesen Gebieten Menschen mit vielfältigen Potenzialen, die sich an ihrem Lebens- und Wohnort zugehörig fühlen, sich mit dem Ort identifizieren. Allerdings ist in manchen dieser Gebiete die Alltagsversorgung eine stetige Herausforderung, wenn die Strecken zum nächsten Einkaufszentrum, der Schule, der Bank oder zum Krankenhaus länger werden. Mobilität gehört jedoch seit langem zum Leben in ländlichen Räumen, da sich dieses Leben in der Fläche abspielt. Die Wege, die heute zurückgelegt werden, nehmen allerdings zu.

Als Reaktion auf den Bevölkerungsrückgang und die Abwanderung aus bestimmten ländlichen Gebieten ist von Rückbau die Rede. Was ist darunter konkret zu verstehen?

Helmle: Rückbau betrifft die Infrastruktur, das heißt Schließung von Schulen, Zusammenlegung der Gemeinden, leerstehende Wohnhäuser und Geschäfte, verwaiste Kirchen, nicht mehr benötigte landwirtschaftliche Gebäude. Zum Teil sind sie dem Verfall preisgegeben, manche werden abgerissen und es entstehen neue Freiflächen, andere Gebäude können umgenutzt werden.

Kirche auf dem Land ist ein Schwerpunkt im Reformprozess der evangelischen Kirche. Was empfehlen Sie der Kirche im Hinblick auf künftige Strukturen und Arbeitsformen auf dem Land?

Helmle: Ich bin keine Expertin für Reformprozesse innerhalb der evangelischen Kirche. In ländlichen Räumen leben viele Menschen, die sich gerne ehrenamtlich engagieren. Engagement ist heute allerdings flexibler, mitunter auch kurzfristiger geworden. Die Bürger entscheiden sich immer wieder neu, wo und wie sie sich einbringen möchten. Etliche Menschen suchen nach Orientierung, sie suchen nach sozialen Kontakten, nach Austausch und möchten auch etwas schaffen. Sie möchten ihre Kompetenzen einbringen, gestalten und ernst genommen werden. Projekte, die zeitlich befristet sind, die punktuelle sinnstiftende Akzente setzen, die auch mit außerkirchlichen Netzwerken verknüpft sind, entsprechen heute vielmehr den Alltags- und Lebensbedingungen der Menschen.


Simone Helmle ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Landwirtschaftliche Kommunikations- und Beratungslehre am Institut für Sozialwissenschaften des Agrarbereichs der Universität Hohenheim.
  

epd