Klitschkos: "Wir haben unsere Träume und Ziele verfolgt"
An diesem Donnerstag startet bundesweit der Dokumentarfilm "Klitschko" in den Kinos. Im Interview mit evangelisch.de erzählen Vitali und Wladimir Klitschko von ihren Boxer-Karrieren, ihrer Heimat, der Ukraine, aber auch von Gefühlen und Lebenserfahrung.
14.06.2011
Von Martin Schwickert

Was hat Sie dazu bewogen, Ihr eigenes Leben auf die Leinwand zu bringen?

Wladimir Klitschko: Die Idee war schon länger im Raum. Wir haben ja auch schon zwei Bücher herausgebracht, da war ein Dokumentarfilm der logische nächste Schritt.

Vitali Klitschko: Ich gehe gern ins Kino und schaue mir Thriller, Dramen oder Actionfilme an. All das haben wir auch in unserem Film, aber nicht als fiktive Geschichte, sondern aus dem echten Leben. Ich hoffe, dass der Film nicht nur Boxfans erreicht, sondern auch Menschen, die mit diesem Sport nichts zu tun haben. Denn für mich ist der Film mehr als eine Sportdokumentation. Wir kommen aus einfachen Verhältnissen und haben unsere Träume und Ziele verfolgt. Man darf niemals am Boden bleiben, muss an sich selbst glauben, auch wenn andere das nicht mehr tun. Das sind Regeln, die nicht nur für den Sport, sondern ganz allgemein für das Leben gelten.

Lernt man beim Boxen mehr fürs Leben oder im Leben mehr fürs Boxen?

Wladimir Klitschko: Das ist ein beidseitiger Prozess. Natürlich lernt man durch den Sport sich auch im echten Leben durchzuboxen. Es gibt Konkurrenz und man muss besser sein, um weiter zu kommen. Aber dank dieses Sports haben wir auch eine unglaubliche Ausbildung genossen, die wir an keiner Universität der Welt bekämen. Wir konnten viel reisen, haben in verschiedenen Ländern gelebt, mehrere Sprachen gelernt, unterschiedliche Gesellschaften und Rechtssysteme kennen gelernt, uns mit Menschen aus jeder Schicht der Gesellschaft – Mathematiker, Philosophen, Künstler, Schauspieler – weit über den Sport hinaus ausgetauscht.

Sie gehören zu den wenigen Boxern, die sich selbst vermarkten. Wie kam es dazu, dass Sie Ihre eigene Promotionfirma und später die Vermarktungs- und Managementfirma KMG gegründet haben?

Vitali Klitschko: Jeder Promoter hat seine eigene Geschäftsinteressen. Wenn man Glück hat, kommt man als Sportler an zweiter, wenn man Pech hat erst an zehnter Stelle. Es gibt viele Beispiele in der Welt, wo Sportler nach ihrer Karriere – egal wie viel sie verdient haben – am Ende bankrott waren, während der Promoter weiter schön seine Geschäfte machte. In Russland sagt man: Glückliche Leute lernen von den Fehlern der Anderen, Unglückliche aus den eigenen Fehlern. Wir haben auch eigene Fehler gemacht, haben aber ebenso das Boxgeschäft beobachtet, um nicht die Fehler von Anderen zu wiederholen.

Ein Boxkampf ist eine hoch emotionalisierte Situation – wie bekommt man da sein Adrenalin unter Kontrolle?

Wladimir Klitschko: Das ist die große Kunst dabei. Aus emotionaler Sicht möchte ich gern den Gegner auseinander nehmen, aber in technischer Hinsicht, muss man die Emotionen außerhalb des Rings lassen. Denn wenn man zu emotional an einen Kampf herangeht, wird man auf jeden Fall Fehler produzieren. Das habe ich schon am eigenen Leib schmerzhaft erfahren. Im Ring muss man die Emotionen beiseite schieben und nach seiner Taktik das erledigen, was man sich vorgenommen hat.

Trotzdem ist ein Boxkampf auch ein riesiges Unterhaltungsevent. Die Pressekonferenzen, das Wiegen, der Einmarsch in den Ring – wie viel Show ist bei einem Boxkampf?

Wladimir Klitschko: Das ist von Persönlichkeit zu Persönlichkeit verschieden. Muhammad Ali etwa war einer der größten Entertainer nicht nur vor dem Kampf, sondern auch noch im Ring.

Bei aller Strategie und Selbstkontrolle – was bringt Sie in Rage?

Vitali Klitschko: Wenn mir Leute direkt in die Augen lügen. Wenn Menschen zynisch sind. Da gibt es viele Beispiele, besonders in der Politik - da kann ich nicht ruhig bleiben.

Sie haben in der Ukraine als Politiker aktiv an der Demokratiebewegung mitgewirkt und auch schon für die Bürgermeisterwahl in Kiew kandidiert. Was ist härter ein Boxkampf oder ein Wahlkampf?

Vitali Klitschko: Als ich mit Boxen angefangen habe, waren meine ersten Lehrstunden sehr hart. Man weiß nicht, wie man sich verteidigt und kennt die Regeln nicht. Als ich nach Hause kam, hatte ich überall blaue Flecken, eine blutige Nase, aufgesprungene Lippen. Das Wichtigste im Leben – egal in welcher Branche – ist Erfahrung. Ich bin schon seit 25 Jahren Boxer und heute kann ich mir erlauben, im Kampf die Hände runter zu nehmen, weil ich voraussehen kann, was mein Gegner macht. In der Politik bin ich erst seit ein paar Jahren. Da habe ich schon sehr viel gelernt, bin aber auch oft im übertragenden Sinne mit einer blutigen Nase nach Hause gekommen. Die Politik in der Ukraine ist für Europäer oft schwierig zu begreifen. Es gibt dort sehr viele Tiefschläge - im Vergleich zum Boxen ist die ukrainische Politik ein Kampf ohne Regeln.

Was ist das Ziel Ihres politischen Engagements?

Vitali Klitschko: Unsere Partei will die Ukraine in Europa einbinden. Wir gehören zu Europa nicht nur geografisch, sondern auch mental und historisch. Ich wollte einfach nicht so ein Sofa-Experte werden, der nur dasitzt und alles besser weiß. Ich möchte nicht warten, bis die Ukraine zu einem europäischen Land gemacht wird. Das können wir selbst.

Wladimir Klitschko, wenn Ihr Bruder in die Politik geht, wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft nach dem Boxen aus. Sie hatte ja in "Ocean's Eleven", "Keinohrhasen" und "Zweiohrküken" schon ein paar Kurzauftritte in Filmen…

Wladimir Klitschko: Ich werde definitiv nicht in die ukrainische Politik gehen. Ein Politiker in der Familie reicht. Bei den Filmen von Til Schweiger habe ich gern mitgemacht, aber ich habe keine Ambitionen im Filmgeschäft. Natürlich kann man so einen Sport nicht ewig betreiben, aber dann muss man sehen, was danach kommt. Aktuell spiele ich die Rolle des Weltmeisters und die nimmt meine ganze Zeit in Anspruch.

In diesem Film treten Ihre Eltern, die sich bisher von der Öffentlichkeit fern gehalten haben, zum ersten Mal vor die Kamera. Wie haben Sie sie für den Film gewonnen?

Vitali Klitschko: Ich habe es nicht geschafft, aber mein kleiner Bruder hat da seine ganz eigenen Geheimmethoden. Meine Eltern wollten nie ins Rampenlicht, aber ich bin froh, dass Sie bei diesem Film mitgemacht haben, denn Sie haben den Grundstein für unsere Haltung zum Leben und zum Sport gelegt.

Ihr Vater wurde als Angehöriger des Militärs nach dem Reaktorunfall 1986 nach Tschernobyl beordert. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Wladimir Klitschko: Wir waren in Kiew 100 km entfernt von Tschernobyl. Mein Vater war im Einsatz, aber zur Geheimhaltung verpflichtet. Er hat uns nur gesagt, dass ein großes Unglück passiert ist und wir nicht nach draußen gehen dürfen.

Vitali Klitschko: Es gab monatelang so gut wie keine Informationen über die Gefährlichkeit der radioaktiven Strahlung. Wirklich verstanden hat man das erst viele Jahre später, als man sah, wie die Betroffenen – auch in unserer Familie - an den Folgen litten.

Wie geht es Ihrem Vater heute?

Wladimir Klitschko: Dank der deutschen Ärzte geht es ihm gut.