Es hat sich etwas verändert im politischen Berlin. CDU-Umweltminister Norbert Röttgen und Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin verteidigen sich gegenseitig im Fernsehstudio gegen die Attacken von Atomkraft-Befürwortern. Grünen-Politiker geben plötzlich dem Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit in Röttgens Ministerium, Gerald Hennenhöfer, freundlich die Hand. Jenem Mann, den die Partei wegen einer früheren Tätigkeit für den Energieriesen Eon für zu atomfreundlich hielt. Nun müssen die Grünen feststellen, dass Hennenhöfer den stufenweisen Ausstieg bis 2022 fachlich und ohne Hintertür umsetzt.
Und dann ist da ja auch noch Winfried Kretschmann. Erst sah der baden-württembergische Ministerpräsident eine neue "Südschiene" mit dem schwarzen Bayern beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Dann half der Grüne mit, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die stufenweise AKW-Abschaltung von 2015 bis 2021 einführte und so de facto die noch zu produzierende Atomstrommenge weiter begrenzt wurde. Und nun lobt der heimliche Star der Grünen ausgiebig die Kanzlerin, während er die SPD in einem schwierigen Zustand sieht.
Merkel gehe innerparteilich mit ihrer Atom-Kehrtwende ein hohes Risiko ein, durch die Rücknahme der Laufzeitverlängerung würden tiefe Gräben zwischen Union und Grünen eingeebnet, sagt Kretschmann. "Eine wesentliche Hürde" für ein schwarz-grünes Bündnis auf Bundesebene sei nun gefallen.
Die CDU will mit grünem Anstrich raus aus dem Tief
Grünen-Chef Cem Özdemir ist da vorsichtiger, er sieht die SPD weiterhin als besten Partner und hofft auf Rot-Grün. Aber die Äußerungen zeigen: Die frühere "Ausschließeritis" bei den Koalitionsoptionen tritt angesichts der parteipolitischen Befriedung des Kampfthemas Atom in den Hintergrund. Allerdings könnten die schwarz-grünen Gedankenspiele von "Realos" schnell wieder vorbei sein, wenn die Basis am 25. Juni der Grünen-Führung ein Nein zum Atomausstieg bis 2022 aufnötigt. Denn viele Grüne wollen schon bis 2017 raus.
Und die SPD? Deren Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sieht bei der Kanzlerin und CDU-Chefin einen schleichenden Machtverlust. "Auf Dauer wird es Angela Merkel nicht gelingen, ohne eigenes Regierungskonzept in langen Nachtsitzungen mit dramatischen Appellen über die Runden zu kommen." Für die Sozialdemokraten ist es schwer zu punkten. Vor allem jetzt, wo das Konrad-Adenauer-Haus der CDU innen wie außen grün angestrichen wird, wie SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier süffisant anmerkt. Der Streit um die innerparteiliche Reform macht gerade mehr Schlagzeilen als eigene Politikinhalte.
Merkel und die Union sind trotz aller Unkenrufe entschlossen, das schwarz-gelbe Bündnis aus dem Umfragetief herauszuholen und so auch die Grünen wieder etwas kleiner zu machen. "Wir hoffen auf eine Stabilisierung", heißt es aus der Unionsfraktion. Die Koalition müsse nach der Findungsphase der FDP infolge der Abdankung Guido Westerwelles als Parteichef zeigen, dass man das Land ordentlich regiere. Das hört sich mal wieder nach Neustart an. Noch vor der Sommerpause sollen bei einer Klausurtagung alle Streitthemen auf den Tisch kommen.
Kein pfingstliches Erweckungserlebnis bei der Koalition
Ein pfingstliches Erweckungserlebnis gibt es bei Union und FDP nicht - auch wenn mit dem Atomausstiegsplan und der mühevoll gefundenen Linie bei neuen Griechenland-Hilfen zwei Megathemen in geordnete Bahnen gelenkt wurden. Gerade die FDP hat das Problem, dass ein Partner, der in Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde herumkrebst, wenig zu melden hat. Es könnte kaum klarer sein, wer Koch und wer Kellner ist. Gerade weil die FDP - anders als Union, SPD und Grüne - derzeit kaum Aussichten hat, in der nächsten Bundesregierung noch vertreten zu sein.
Die Union hat mit SPD und Grünen als mögliche künftige Partner eine starke Drohkulisse, um die FDP noch vieles schlucken zu lassen. "Ich habe Vertrauen, dass die Kanzlerin in ihren Reihen künftig für Professionalität sorgen kann", sagt der neue FDP-Chef Philipp Rösler unverdrossen. Der Wirtschaftsminister stand nach Durchstechereien von Unionsseite wie ein Lehrling da. CDU und CSU fehlende Professionalität vorzuwerfen, das hört sich nicht nach einem Aufbruchssignal für Schwarz-Gelb an.