TV-Tipp des Tages: "Tatort: Nasse Sachen" (ARD)
Als Müllmänner auf der Straße einen ermordeten griechischen Autohändler auflesen, deuten die Indizien zunächst auf einen tödlichen Streit zwischen Ganoven: Der Mann war Kopf eines Autoschieberrings.
10.06.2011
Von Tilmann P. Gangloff

"Tatort: Nasse Sachen", 13. Juni, 20.15 Uhr im Ersten

Dieser Film beginnt wie ein ganz normaler Krimi, schwingt sich dann aber zu einer Größe auf, die zumindest für die "Tatort"-Beiträge aus Leipzig Maßstäbe setzt: weil es plötzlich nicht mehr bloß um geklaute Autos geht, sondern um das Erbe der DDR. Spätestens die Konfrontation der Kommissarin mit einem Gespenst führt zum bislang wohl verblüffendsten Moment der Sachsen-Krimis.

Dabei sorgt schon der Anfang für Verwirrung. Als Müllmänner auf der Straße einen ermordeten griechischen Autohändler auflesen, deuten die Indizien zunächst auf einen tödlichen Streit zwischen Ganoven: Der Mann war Kopf eines Autoschieberrings. Kurz drauf finden Saalfeld (Simone Thomalla) und Keppler (Martin Wuttke) die Leiche von Walter Rimbach, eines Angestellten des Autohauses. Die Rekonstruktion der beiden Morde legt nahe, dass es sich um unterschiedliche Täter handeln muss. Die Spur führt nach Zypern. Dort lebt der Kompagnon des Griechen. Für zusätzliche Verwirrung sorgt der Sohn eines einstigen DDR-Dissidenten.

Mit Jörg Hartmann und Claudia Michelsen

Thomas Kramm (Jörg Hartmann) hat den ermordeten Rimbach kurz vor dessen Tod bedroht: Er macht ihn für das Verschwinden seines Vaters verantwortlich. Rimbach, so berichtet seine Tochter (Claudia Michelsen), war ein "Zweihundertprozentiger"; laut Kramm zudem ein Stasi-Offizier "im besonderen Einsatz", ein Mann für die schmutzigen Fälle. Spätestens jetzt nimmt der Fall für die ohnehin angeschlagene Kommissarin, die ein offenbar unbewaffnetes Mitglied der Bande lebensgefährlich verletzt hat, traumatische Züge an: Nach Lage der Akten hat Kramm senior vor knapp dreißig Jahren bei einem Fluchtversuch ihren Vater erschossen; Horst Saalfeld war Hauptmann bei der Volkspolizei. Thomas Kramm ist jedoch überzeugt, dass sich das Ereignis ganz anders zugetragen haben muss.

Autor Andreas Knaup ist es auf bemerkenswerte Weise gelungen, sein Krimi-Drehbuch mit dem Anspruch zu verknüpfen, eine Geschichte über die DDR zu erzählen. Es geht dabei weniger um Vergangenheitsbewältigung; im Vordergrund stehen die Dramen, unter denen die betroffenen Familien noch heute leiden. Mit spielerischer Beiläufigkeit führt Knaup schon zu Beginn in diese Thematik ein, wenn Mutter Saalfeld (Swetlana Schönfeld) alten Kram ausmistet und Keppler kommentiert, so was sei doch "nur Ballast". Später zeigt sich, dass der vermeintliche Ballast erhebliche Auswirkungen auf die Gegenwart haben kann. Natürlich geht es auch um Stasi-Verbrechen. Der Titel greift einen Ausdruck aus dem internen Jargon auf: "Nasse Sachen" war eine Umschreibung für gewalttätige, durchaus auch letale Maßnahmen.

Mit dem zunehmenden Anspruch der Handlung ändert Regisseur Johannes Grieser auch den Tonfall des Films. Anfangs sorgen der ewig frierende Keppler und die kleinen Scharmützel mit Kriminaltechniker Menzel (Maxim Mehmet) noch für vergnügliche Momente, doch nach dem beinahe tödlichen Schuss Saalfelds verzichtet Grieser auf alle Heiterkeit. Ein lange Zeit völlig undurchschaubarer, richtig guter Krimi, der die ostdeutsche Vergangenheit aufarbeitet, ohne wie üblich mit der Moralkeule herumzufuchteln.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).