Syrische Flüchtlinge: "Das ist Krieg"
Journalisten können aus Syrien nicht frei über die Proteste gegen das Assad-Regime berichten. Nur wenig gesicherte Informationen dringen aus dem Land an die Öffentlichkeit. Flüchtlinge, die es in die Türkei geschafft haben, berichten von schrecklichen Zuständen. Erstmals gibt es Hinweise, dass sich Teile der Armee vom Regime abwenden.

Flüchtlinge aus der syrischen Kleinstadt Dschisr al-Schogur haben schwere Vorwürfe gegen die Sicherheistkräfte des Regimes von Präsident Baschar al-Assad erhoben. Es habe Hubschrauber-Angriffe, Razzien und Misshandlungen durch Soldaten gegeben, berichteten am Dienstag verwundete Zivilisten, die aus der Stadt in die benachbarte Türkei geflohen sind. Nach Angaben der Regierung wurden in Dschisr al-Schogur am Montag 120 Angehörige der Sicherheitskräfte von bewaffneten Banden getötet. Bis jetzt ist nicht klar, ob es sich um einen Racheakt der Bewohner oder um eine Auseinandersetzung zwischen Deserteuren und Assad-treuen Soldaten handelte.

Unterdessen lösten Berichte über einen angeblichen Rücktritt der syrischen Botschafterin in Paris Verwirrung aus. Der französische Sender France24 hatte am Dienstag eine vermeintliche Erklärung der Diplomatin Lamia Schakur ausgestrahlt. Darin hieß es, sie trete aus Protest gegen die Gewaltpolitik der Regierung zurück. Später meldete der arabische Sender Al-Dschasira unter Berufung auf informierte Kreise, dass Schakur nicht daran denke, zurückzutreten. Die Botschafterin habe mitgeteilt, dass der französische Sender auf einen Betrüger hereingefallen sei.

Armee schießt von Hubschrauber aus auf Bewohner

Die Flüchtlinge aus Dschisr al-Schogur sprachen von schrecklichen Ereignissen in ihrem Ort. "Das ist Krieg", sagte einer von ihnen der Nachrichtenagentur dpa am Dienstagabend in einem Telefoninterview. Seinen Namen wollte er aus Angst vor Repressalien gegen seine Familie nicht nennen.

Begonnen habe die Gewaltorgie am vergangenen Freitag, sagte der syrische Familienvater, der im staatlichen Krankenhaus der türkischen Stadt Antakya wegen einer Schussverletzung an einer Hand behandelt wurde. Nach einem Begräbnis für einen Regimegegner habe die Armee plötzlich von Hubschraubern aus auf die Bewohner der Stadt geschossen. Am Samstag seien dann Soldaten einmarschiert. "Sie verwüsteten die Häuser, schlugen die Frauen, überall wurde geschossen."

Am Sonntag sei es ihm gelungen zu fliehen. Er habe sich in einem Auto versteckt und über die Grenze in die türkische Provinz Hatay bringen lassen. "Über den Grenzübergang konnte ich nicht fahren, wenn die Soldaten meine Verletzung gesehen hätten, dann hätten sie mich sofort erschossen", sagte er.

Verurteilung Syriens durch den UN-Sicherheitsrat gefordert

Angesichts des gewaltsamen Vorgehens gegen die Regimegegner dringt Frankreich auf eine Verurteilung Syriens durch den UN-Sicherheitsrat. "Es ist unverständlich für uns, wie die Vereinten Nationen eine solche Situation schweigend hinnehmen können", sagte der französischen Außenminister Alain Juppé am Dienstag bei einem Besuch in New York. Er forderte das höchste UN-Gremium auf, über den Resolutionsentwurf abzustimmen, den die vier europäischen Ratsmitglieder, darunter auch Deutschland, ihm vorgelegt hatten.

Von den fünf Vetomächten im Sicherheitsrat, den USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien, dürften außer den beiden Europäern auch die USA der Ermahnung in Richtung Damaskus zustimmen. Fraglich ist jedoch, ob Russland den Vorstoß wegen seiner guten Beziehungen zur Regierung von Baschar al-Assad nicht mit einem Veto abwürgen würde. Das Papier verlangt von Damaskus unter anderem, umgehend das brutale Vorgehen gegen Demonstranten einzustellen.

Hinweise auf Meuterei in der syrischen Armee

 

In Syrien mehren sich die Hinweise auf eine Meuterei in den Streitkräften. Das Regime geht dennoch mit unverminderter Härte weiter gegen seine Gegner vor. Der Nachrichtensender Al-Arabija meldete am Dienstag, die gefürchtete 4. Brigade der Armee sei auf dem Weg in die Kleinstadt Dschisr al-Schogur, in der nach offiziellen Angaben am Vortag 120 Angehörige der Sicherheitskräfte getötet worden waren. Die Brigade wird von Maher al-Assad, einem Bruder des Präsidenten Baschar al-Assad, kommandiert.

Die Regierung hatte am Montagabend erklärt, bewaffnete Extremisten hätten in dem Ort in der Provinz Idlib im Nordwesten des Landes Soldaten aus dem Hinterhalt getötet und mehrere Wachleute vor öffentlichen Gebäuden erschossen. Woher die Waffen dieser mutmaßlichen Extremisten stammten, sagten sie nicht.

Mehrere Exil-Oppositionelle, die den Transport verletzter Zivilisten aus der Provinz in die Türkei mit organisieren, sagten dagegen der Nachrichtenagentur dpa, die Soldaten seien von Angehörigen der Armee erschossen worden, weil sie sich geweigert hätten, in der Ortschaft Dschisr al-Schogur auf unbewaffnete Zivilisten zu schießen.

Einer der Oppositionellen, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen wollte, erklärte, nachdem die Zahl der Deserteure in den Reihen der Armee gestiegen sei, habe das Regime beschlossen, alle Einheiten, die zur Niederschlagung der Proteste eingesetzt würden, von Offizieren der 4. Brigade begleiten zu lassen.

Der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira strahlte unterdessen eine Videoaufzeichnung aus, die einen jungen Mann in der Uniform der syrischen Armee zeigt. Er erklärt, er sei desertiert. Das brutale Vorgehen der Streitkräfte gegen friedliche Demonstranten sei ein Verbrechen. Zugleich rief er die Offiziere der Städte, in denen die Armee auf Demonstranten geschossen hatte, zur Meuterei auf.

dpa