EHEC: Erste Sprossentests negativ - Kritik an Behörden
Die Suche nach dem Träger des Durchfallerregers EHEC geht weiter. Erste Laborproben haben den EHEC-Verdacht auf einem Biohof in Niedersachsen nicht untermauert. 23 von 40 Sprossenproben aus dem Betrieb im Kreis Uelzen seien EHEC-frei, teilte das niedersächsische Verbraucherministerium am Montag in Hannover mit. Die übrigen 17 Proben würden weiter untersucht. Unterdessen wächst die Kritik am Krisenmanagement der Behörden.

"Aufgrund der bisherigen Erfahrungen bei der Untersuchung eines Teiles der Proben (insbesondere der Saaten) gehen wir davon aus, dass intensive analytische Anstrengungen unternommen werden müssen, um den vermuteten Erreger zweifelsfrei nachweisen zu können", hieß es aus dem Ministerium. Die Suche gestalte sich schwierig, weil seit dem Ausbruch der Epidemie schon mehrere Wochen vergangen seien. Die weitere Bearbeitung erfolge zusammen mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin. Ein kurzfristiger Abschluss der Untersuchungen sei nicht zu erwarten. Das Untersuchungsergebnis einer älteren Sprossenpackung, die in Hamburg aufgetaucht war, soll am Dienstag vorliegen.

Grüne: Was machen die Minister?

Angesichts des mühsamen Kampfes gegen die EHEC-Infektionswelle wächst die Kritik am Krisenmanagement der Behörden und der schwarz-gelben Bundesregierung. "Ich frage mich, was der Gesundheitsminister und die Verbraucherministerin eigentlich machen", sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast der "Berliner Zeitung" (Montag). Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) bemängelte die Informationspolitik der niedersächsischen Landesregierung, die im Zusammenhang mit dem gefährlichen Darmkeim vor Sprossengemüse gewarnt hat. Die FDP und die Bundesregierung verteidigten das Vorgehen.

Die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Bärbel Höhn sagte der "Passauer Neuen Presse" (Montag): "Die Regierung hat diese Krise vollkommen unterschätzt und sich weggeduckt. Von den verantwortlichen Ministern war lange nichts zu hören." Es wäre am Anfang viel aussichtsreicher gewesen, den Erreger schnell zu finden. "Diese Möglichkeit hat man verschenkt. Jetzt wird es ungleich schwerer." Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) und Verbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) wollen sich in dieser Woche mit den zuständigen Länderministern beraten. Das am Mittwoch geplante Spitzentreffen bezeichnete Künast als "reine Show". Stattdessen brauche Deutschland einen nationalen Kontrollplan mit einer Checkliste möglicher Übertragungswege vom Bauern über die Verarbeitung bis zum Restaurant.

"Mehr als unanständig"

FDP-Generalsekretär Christian Lindner wies die Kritik zurück. "Dass die Grünen sich nun selbst den EHEC-Erreger zunutze machen wollen, um ein parteipolitisches Süppchen zu kochen, ist mehr als unanständig", sagte er "Handelsblatt Online". Der Leiter des Fachbereichs Gesundheit und Ernährung beim vzbv, Stefan Etgeton, kritisierte das Verhalten Niedersachsens. "Es ist ein bisschen unglücklich, wenn einzelne Landesminister dann vorpreschen mit Befunden", sagte er im Deutschlandfunk. Landwirtschaftsminister Gert Lindemann (CDU) hatte am Sonntag die Öffentlichkeit informiert, dass Sprossengemüse aus einem Biohof im Kreis Uelzen möglicherweise mit dem aggressiven Darmkeim verseucht sein könnte. "Ich hätte mir gewünscht, die Information wäre vom Robert-Koch-Institut ausgegangen", sagte Etgeton.

Das Bundesverbraucherministerium verteidigte das Vorgehen Niedersachsens. Die Anzahl der Indizien habe eine öffentliche Warnung erforderlich gemacht, sagte ein Sprecher in Berlin. Der für Gesundheit und Verbraucherschutz zuständige Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) sagte der "Saarbrücker Zeitung" (Montag), es müsse darum gehen, "alle Kapazitäten in Bund und Ländern auf die Erforschung des Bakteriums zu konzentrieren". Rufe nach einem zentralen Krisenstab im Gesundheitsministerium hält Singhammer für unbegründet. Sowohl Gesundheitsminister als auch Verbraucherschutzministerin arbeiteten eng mit zuständigen Behörden in Bund und Ländern zusammen. "Mehr Koordinierung geht nicht."

Mehr als 2.700 Menschen erkrankt

Bundesweit gibt es inzwischen mehr als 2.700 Menschen, bei denen der Durchfallerreger EHEC vermutet wird oder bereits nachgewiesen wurde. Davon leiden mindestens 650 Patienten an der schweren Komplikation HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom). Mindestens 21 Menschen sind durch den EHEC-Keim gestorben. Die meisten davon waren Frauen. Jüngste Angaben aus den Bundesländern:

Hamburg: In der Hansestadt wurden bis Montagvormittag 849 EHEC-Fälle oder -Verdachtsfälle gemeldet. 151 Patienten wurden oder werden wegen HUS oder Verdacht darauf in Kliniken behandelt.

Schleswig-Holstein: Bis Montagnachmittag gab es 588 bestätigte EHEC-Infektionen, darunter 167 HUS-Fälle.

Niedersachsen: Inzwischen sind 503 Patienten bekannt, bei 385 von ihnen wurde die EHEC-Infektion im Labor bestätigt. 96 Patienten leiden unter der lebensbedrohlichen Komplikation, dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS).

Nordrhein-Westfalen: Bis Montagnachmittag waren 279 Menschen nachweislich mit dem Erreger infiziert. 74 von ihnen sind an HUS erkrankt. Außerdem gibt es 16 weitere Personen, die ernsthaft erkrankt sind, bei denen aber ein Zusammenhang mit dem Keim noch nicht nachgewiesen ist.

Mecklenburg-Vorpommern: Inzwischen gibt es 130 Erkrankungen, wie das Landesamt für Gesundheit und Soziales am Montag in Rostock berichtete. 34 Patienten leiden an HUS.

Bremen: In Bremen und Bremerhaven waren bis Montag 40 EHEC-Infektionen bestätigt, es gab 20 HUS-Fälle.

Baden-Württemberg: Seit Anfang Mai sind 85 EHEC-Infektionen und 17 HUS-Fälle und -Verdachtsfälle festgestellt worden, wie das Sozialministerium am Montagnachmittag berichtete.

Bayern: Bis Montagmittag waren 53 EHEC-Infektionen bekannt. Weitere 19 Menschen leiden an dem HU-Syndrom.

Rheinland-Pfalz: Seit Jahresbeginn wurden 48 Infektionen mit dem gefährlichen Darmkeim registriert, allerdings gehen nicht alle auf die jüngste Erkrankungswelle zurück. Bei 6 weiteren Menschen wurde die schwere Verlaufsform HUS festgestellt, 5 davon zählen zur aktuellen Erkrankungswelle.

Hessen: Bis Montagmittag waren 42 HUS-Fälle bekannt. EHEC-Infektionen oder Verdachtsfälle werden nicht gezählt.

Berlin: Bei 47 Menschen wurde bis Montagmittag eine EHEC-Infektion festgestellt, 16 von ihnen leiden unter der schweren Folgekrankheit HUS oder es besteht der Verdacht darauf.

Sachsen-Anhalt: Bis Montagmittag waren 27 EHEC-Erkrankungen bekannt. 4 dieser Patienten haben HUS.

Thüringen: Es gibt 27 bestätigte EHEC-Infektionen und einen Verdachtsfall. Außerdem sind 3 Menschen an HUS erkrankt, bei einem weiteren besteht der Verdacht darauf. Eine 80-Jährige ist bereits an HUS gestorben.

Sachsen: Seit Anfang Mai haben sich 16 Menschen nachweislich mit EHEC infiziert. Bei 3 weiteren wurde die schweren Verlaufsform HUS festgestellt.

Brandenburg: 6 Patienten werden wegen einer bestätigten Erkrankung mit dem gefährlichen Darmbakterium behandelt, 4 von ihnen leiden an HUS. Bei 11 weiteren Menschen besteht der Verdacht auf eine EHEC- Infektion.

Saarland: Es gibt 5 bestätigte HUS-Fälle, die auf EHEC zurückgehen. Alle haben sich vermutlich in Norddeutschland infiziert. Ein weiterer EHEC-HUS Patient liegt in Norddeutschland im Krankenhaus. EHEC-Fälle mit leichtem Verlauf werden nicht gezählt.

dpa