Mystische Orte: Taufen an Seen und Flüssen beliebt
Noch joggen einsame Strandläufer am Flutsaum der Weser vor Bremerhaven. Anfang Juli ist hier alles anders. Dann versammelt sich vor der modernen Silhouette der Hafenstadt eine riesige Taufgesellschaft. Fast 100 Familien und mehr als 1.000 Gäste werden erwartet, wenn die evangelische Kirche zum Mega-Tauffest an die Weser einlädt. Unter ihnen ist Familie Ratje, die gleich fünf Kinder angemeldet hat. "Der Deich, das Wasser, der Strand - das ist für mich ein besonderer Ort, hier bin ich groß geworden", sagt Mutter Daniela.
06.06.2011
Von Dieter Sell

Ob Chiemsee, Isar, Northeimer Seenplatte, Ostseebucht oder Elbestrand: Im Sommer zieht es Taufgesellschaften in ganz Deutschland mit oft hunderten von Gästen immer häufiger an das Wasser. Die einen fasziniert der Ort, andere eine Partystimmung, die sie sonst in der Kirche vermissen. Und das gilt nicht nur im Jahr der Taufe, das die Evangelische Kirche in Deutschland 2011 feiert.

"Unter freiem Himmel sind die Hemmschwellen niedriger", sagt Diakonin Hanna Hagedorn, die das Fest am 3. Juli in Bremerhaven mit 118 Täuflingen vorbereitet. An biblische Vorbilder reicht die Zahl übrigens noch nicht ganz heran: Der Überlieferung zufolge feierte Petrus am Pfingstfest mit 3.000 Menschen die erste Massentaufe der Christenheit.

"Fehlt nur noch Sonne"

Der jüngste Sohn von Daniela Ratje ist gerade erst zur Welt gekommen, die anderen Mädchen und Jungen sind bis zu zwölf Jahre alt. "Bisher kam immer irgendwas dazwischen, wenn wir die Kinder taufen lassen wollten", sagt die 29-Jährige. "Mal war jemand krank, mal fehlten die Paten, dann war mein Mann arbeitslos und es war finanziell eng." Jetzt passt alles: Die Kirche sorgt für einen festlichen Rahmen, nach der Taufe gibt es kostenlos Kaffee und Kuchen. "Fehlt nur noch Sonne", hofft Mutter Ratje.

Ein paar Kilometer stromaufwärts vor Bremerhaven im niedersächsischen Sandstedt arbeitet Pastor Dietrich Diederichs-Gottschalk, der zu den Pionieren von See- und Flusstaufen in Deutschland gehört. Passend, denn dort am Weserstrand stand vor Jahrhunderten die erste Kirche des Ortes, Schutzpatron war Johannes der Täufer. Für viele Sandstedter ist es bis heute ein mystischer Ort. Als Diederichs-Gottschalk in einem verstaubten Schrank im Gemeindehaus dann noch ein historisches Bild der Taufszene Jesu am Jordan fand, war das für ihn so etwas wie ein Zeichen: Die erste Wesertaufe war beschlossene Sache.

Banalisierung eines Sakraments?

Doch innerkirchlich hagelte es Kritik. Spektakel, Banalisierung eines heiligen Sakramentes, die Taufe gehört ins Gotteshaus, schimpften leitende Theologen. "Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich die Taufe nach dem biblischen Vorbild am lebendigen Strom erkämpfen musste", erinnert sich Diederichs-Gottschalk. Doch er ließ sich nicht beirren und steigt nun jährlich um den Johannistag am 24. Juni herum barfuß und mit Talar in die Weser. Mittlerweile sind die Kritiker verstummt. Die Vielfalt christlicher Traditionen in der Taufpraxis solle sichtbarer werden, sagt der neue hannoversche Landesbischof Ralf Meister. Tauffeste an Seen und Flüssen sieht er als "Spur neuer kirchlicher Folklore".

Taufeltern wie Daniela Ratje haben ohnehin keine Vorbehalte und verbinden ganz im Gegenteil den Ritus der reinigenden Taufe am Fluss mit einem warmen Gefühl von Heimat. Diederichs-Gottschalk berichtet, die Feier unter freiem Himmel mit raschelndem Schilf und rauschenden Bäumen sei für viele ein elementares Erlebnis der Schöpfung Gottes. Dazu kommt eine soziale Komponente, denn oft melden sich Alleinerziehende an, für die ein Tauffest sonst unerschwinglich wäre.

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Und es rührt etwas an, was Menschen auf der ganzen Welt verbindet. Denn den Glauben an die erneuernde und lebensspendende Kraft des fließenden Wassers gibt es weltweit. "Flüsse und das Meer galten schon in der Antike als besonders rein", sagt Landesbischof Meister. So ist es bis heute bei den Hindus in Indien, die im Strom Ganges eine Gottheit sehen, der alle Sünden abwäscht - obwohl der Fluss an vielen Abschnitten eine Kloake ist. "Vor jedem Shinto-Schrein in Japan gibt es einen Brunnen, in dem Hände und Mund gespült werden", ergänzt die Bremer Völkerkundlerin Renate Noda.

Im Mittelalter bedeutete die Taufe auf Christi Namen das Tor zum Paradies, erinnert der hannoversche Historiker Thorsten Albrecht: "Die Mächte des Bösen wurden gebannt." Daran knüpft auch der evangelische Pastor Wilfried Behr beim Tauffest am Ufer eines ehemaligen Ziegeleisees im niedersächsischen Hemmoor an. In seiner Predigt übersetzt er, was dieser Tag theologisch bedeutet: "Alles, was nicht gut ist, soll abgespült werden in die Tiefen dieses Sees. Wer getauft ist, ist komplett gereinigt."

epd