Stuttgart 21: Grün-Rot lehnt Bahn-Vorschlag ab
Die Bahn bietet in Sachen Stuttgart 21 einen längeren Baustopp an. Baden-Württembergs grün-rote Landesregierung hat den neuen Kompromissvorschlag zu dem umstrittenen Bauprojekt zunächst abgelehnt.
06.06.2011
Von Bernward Loheide und Henning Otte

Bahnchef Rüdiger Grube hatte eine Aussetzung der gestoppten Bauarbeiten für den Bahnhofsneubau bis 15. Juli angeboten. Er verlangte dazu aber eine außerordentliche Sitzung des Lenkungskreises der Projektbeteiligten - anderenfalls würden an diesem Montag die Bauarbeiten wieder beginnen.

Ein Regierungssprecher in Stuttgart sagte der Nachrichtenagentur dpa, an diesem Montag werde der Lenkungskreis nicht zusammenkommen. Grubes Angebot liege vor. Es fehlten aber noch weitere Unterlagen und Kostenrechnungen. Erst danach könne die Landesregierung das Angebot prüfen. Erwartet wird nun, dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) am Montag telefonisch mit Grube über das weitere Vorgehen spricht.

Stuttgart-21-Gegner blockieren Baustelle

Bahnchef Rüdiger Grube hat den Kritikern von Stuttgart 21 eine sechswöchige Verlängerung des Baustopps angeboten. "Mein Entgegenkommen, das Projekt Stuttgart 21 bis zum 15. Juli anzuhalten, ist mein letzter Kompromissvorschlag", sagte Grube den "Stuttgarter Nachrichten" (Montag). Die Stadt Stuttgart müsse der Bahn dafür aber entgegenkommen. Andernfalls werde die Bahn bereits an diesem Montag nach der Sitzung des Lenkungskreises "die Baustelle hochfahren und die Vergaben zügig abschließen".

Rund 70 Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 haben am Montagmorgen den Zugang zu einem Baustellenabschnitt blockiert. Trotz des vereinbarten Baustopps für den Tiefbahnhof werde weiter am Grundwassermanagement gearbeitet, kritisierte der Sprecher der "Parkschützer", Matthias von Herrmann. Er wandte sich zugleich gegen den neuen Vorschlag von Bahnchef Rüdiger Grube: Das Angebot der Bahn sei ein "fauler Kompromiss".

Die grün-rote Landesregierung reagierte kühl auf Grubes Angebot. Die Bahn müsse erst mal Fakten liefern, bevor substanzielle Gespräche stattfinden könnten, erfuhr die Nachrichtenagentur dpa am Sonntagabend aus Regierungskreisen in Stuttgart. "Bisher ist die Bahn noch vieles schuldig geblieben", hieß es nach einem etwa dreineinhalbstündigen Treffen der Spitzen der Koalition im Staatsministerium.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will an diesem Montag mit Grube über die Zukunft des Projekts beraten. Dabei muss der Bahnchef aus Sicht der Koalition unter Beweis stellen, dass seine Ansagen belastbar sind. "Bei genauerer Betrachtung ist da vieles wackelig", hieß es in den Regierungskreisen. Zum Beispiel müsse der Bahnchef sich fragen lassen, ob er die Bauarbeiten an bestimmten Orten einfach so fortsetzen könne. "Die faktischen rechtlichen Voraussetzungen sind gar nicht da."

Grube: "Kein weiteres Entgegenkommen" der Bahn

Grube kündigte an, in der Sitzung mit Vertretern der Projektbeteiligten werde er vorschlagen, den Stresstest für das Milliardenprojekt "etwas zu beschleunigen". Die Ergebnisse der Computersimulation zur Leistungsfähigkeit des geplanten Tiefbahnhofs könnten dann vor dem 15. Juli präsentiert werden. Den Test hatte der Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler der Bahn auferlegt.

Grube betonte, dass es von der Deutschen Bahn AG "kein weiteres Entgegenkommen" mehr geben könne: "Hier ist sozusagen eine rote Linie: Bis hierher und nicht weiter." Der 15. Juli sei für die Bahn ein "immens wichtiges Datum". Bis dahin müssten Tunnelbauarbeiten im Volumen von 750 Millionen Euro vergeben werden. Andernfalls drohten 18 Monate Zeitverzug und erhebliche Mehrkosten, weil dann die europaweite Ausschreibung wiederholt werden müsse.

Vor einer Woche hatte der Bahnchef nach einem Spitzentreffen der Projektträger von Stuttgart21 angekündigt, die Bauarbeiten an diesem Montag wieder aufzunehmen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) war am Freitag mit dem Versuch gescheitert, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) von einer Verlängerung der Baupause zu überzeugen.

Stuttgart lehnt Kostenbeteiligung ab

Grube sagte den "Stuttgarter Nachrichten": "Wenn wir die Vergaben und Bauarbeiten tatsächlich bis Mitte Juli verzögern, werden wir - weil die neue Eisenbahninfrastruktur nur zum Fahrplanwechsel am Ende eines Jahres in Betrieb gehen kann - voraussichtlich ein volles Jahr verlieren. Das heißt, Stuttgart 21 würde nicht wie geplant Ende 2019, sondern Ende 2020 in Betrieb gehen." In diesem Fall drohten der Deutschen Bahn Forderungen der Stadt Stuttgart in Höhe von 33 Millionen Euro. Diese Summe "können und dürfen wir nicht übernehmen", sagte Grube. "Hier müsste die Stadt einen Beitrag leisten."

Dies lehnt Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) ab. "Entweder muss die Landesregierung das Geld selbst in die Hand nehmen, oder sie muss die Realitäten akzeptieren", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Montag). Wenn die Stadt die Kosten übernehme, brauche sie einen Bürgerentscheid, "der kaum Aussicht auf Erfolg hat". Die Bahn müsse zudem die Kosten eines Baustopps bis zur Volksabstimmung noch genauer belegen. Schuster äußerte die Befürchtung, dass die Auflösung des Finanzierungsvertrages für Stuttgart 21 nach einer für die Gegner erfolgreichen Volksabstimmung juristisch als Untreue ausgelegt werden könnte.

Grün-Rot hat es bisher strikt abgelehnt, dass das Land sich an den Kosten für die Bauverzögerung beteiligt. Der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann sorgt allerdings bei der SPD für Unmut, weil er hartnäckig auf einem Baustopp bis zur Volksabstimmung im Herbst pocht. Der Vorschlag einer mehrwöchigen Verlängerung des Baustopps sei bisher an Hermann gescheitert, hieß es am Wochenende in SPD-Kreisen: "Dann ist das zerredet worden, weil Hermann weitergehende Forderungen an die Bahn stellte."

 

dpa