Der Kirchentag: Fröhlich, fromm und sehr politisch
Beim evangelischen Kirchentag in Dresden hat sich der deutsche Protestantismus fünf Tage lang in seiner ganzen Breite präsentiert: 118.000 Dauerteilnehmer und Zehntausende Tagesgäste haben ein Fest des Glaubens gefeiert: fröhlich, fromm und zugleich sehr politisch.
05.06.2011
Von Karsten Frerichs

Das Christentreffen, das am Sonntag zu Ende ging, verlieh dem barocken Dresden einige Farbtupfer, die Canaletto bei seinem berühmten Elbpanorama noch nicht auf der Palette hatte: bunte Luftballons und grüne Kirchentagsschals. Und natürlich waren alle wieder dabei: Posaunenchöre und Pfadfinder, Bischöfe und Bundespräsident, Kanzlerin und Oppositionspolitiker - und die langjährigen Lieblinge der Kirchentagsbewegung.

So sorgte Margot Käßmann auch in Dresden wieder für überfüllte Hallen und Kirchen. Die Ex-Bischöfin und Bestseller-Autorin traf ihr Publikum, auch wenn sie wenig Überraschendes im Gepäck hatte. Ergreifend war der Beitrag des 88-jährigen Jörg Zink, der nach einer schweren Operation im vergangenen Jahr per Video zu einer Bibelarbeit zugeschaltet wurde. "Ich weiß nicht, ob wir uns noch einmal wiedersehen", sagte der Bestsellerautor, der dem Kirchentag seit den 50er Jahren eng verbunden war.

Früher gab's noch Tomaten für Verteidigungsminister

Die politische Hauptperson des Kirchentages indes war Thomas de Maizière (CDU). An den Auftritten des Verteidigungsministers zeigte sich am deutlichsten, wie sich der Kirchentag in drei Jahrzehnten verändert hat. Während sein Vorgänger Hans Apel (SPD) beim Kirchentag in Hamburg 1981 für seine Raketenpolitik mit Tomaten beworfen wurde, hörten am Freitagabend 1.000 Menschen de Maizière gespannt zu. De Maizieres Diskussion mit Nikolaus Schneider, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), war ein Höhepunkt in Dresden. Das Thema Auslandseinsätze war wichtiger geworden als der Atomausstieg.

Der Verteidigungsminister, der dem Kirchentagspräsidium angehört, überraschte mit der Aussage, ein Gebet selbst für die Taliban sei sinnvoll. Es könne jedoch nicht alles sein, ersetze keine praktische Politik. De Maizière stellte sich gegen die Rede von einem gerechten Krieg: "Den gibt es nicht, wohl aber den gerechtfertigten Krieg." Und um Gewalt von Diktatoren zu stoppen, sei auch für einen Christen ein militärisches Eingreifen geradezu geboten. Zwar lade man damit Schuld auf sich: "Aber wer nichts tut, wird auch schuldig."

Der Kirchentag hat seine unschuldige Gewissheit abgelegt, lautstark den richtigen Weg in die bessere Welt zu verkünden. Heute gehe es den Besuchern stärker um den Austausch von Argumenten, nicht um Protest, erklärte Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt die Wandlung. Und so sei denn auch das politische Signal von Dresden, dass die Bürger beteiligt werden wollen: "Die Wutbürger haben ausgedient. Es folgen die Mutbürger."

Das Konzept Kirchen statt Messehallen ging auf

Die Bedenken, dass Dresden nur ein Jahr nach dem Ökumene-Treffen von München ein kleiner Kirchentag würde, gingen nicht in Erfüllung. "Dresden ist eben ein Mythos", erklärte der gastgebende Landesbischof Jochen Bohl. Die Teilnehmerzahl war so hoch war wie in den zurückliegenden 15 Jahren nicht mehr. In der Tat trug die touristische Anziehungskraft der barocken Elbestadt wohl stark zu einer guten Resonanz bei.

Eine weitere Erkenntnis: Kirchentage funktionieren auch in Städten, in denen nur ein Viertel der Menschen einer Kirche angehört. Dass das Christentreffen zudem auch Menschen anzieht, bei denen die Lust auf fünf Tage in einer feiernden Gemeinschaft das Interesse an politischem Diskurs deutlich übertrifft, ist längst auch den Kirchentagsmachern bekannt - deren publikumsträchtiges Angebot an abendlichen Konzerten von Aura Dione über Nina Hagen bis zu den "Wise Guys" reichte.

Als Plus für Dresden erwies sich, dass außergewöhnlich viele Veranstaltungen in den Kirchen der Stadt und weniger - wie so häufig in den Vorjahren - in nüchternen Messehallen stattfanden. Als "spirituellen Mittelpunkt" machte die Generalsekretärin des Christentreffens, Ellen Ueberschär, die im Zweiten Weltkrieg zerstörte und 2005 wieder eingeweihte Frauenkirche aus, vor der sich zum Morgengebet auf der Kuppel schon um halb sechs Uhr in der Frühe 400 Menschen anstellten. 

epd