Ältere beim DEKT: "Papphocker sind eine Katastrophe"
Sie füllen die größten Säle, und sie sind aktiv über den Kirchentag hinaus: Die Generation der Älteren. In Dresden sind so viele wie noch auf keinem evangelischen Kirchentag.
04.06.2011
Von Katharina Weyandt

1.000 Hände recken sich nach oben, als Monika Bauer von der Atenarbeit der EKD die Resolution des Forums "Mut und Wut" zur Abstimmung stellt. Die Bundespolitik soll mehr Bürgerbeteiligung ermöglichen und Altersgrenzen bei gesellschaftlichen Ämtern abschaffen. Zwei auffällige Elemente bei diesem Kirchentag 2011: dass wieder mehr politische Botschaften aus dem Publikum verabschiedet werden, und dass das Publikum immer mehr aus Älteren besteht. Fast 20 Prozent sind über 60, etwa fünf Prozent mehr als bei den drei vorangegangenen Kirchentagen. Weil die auch noch weniger Dauerteilnehmer hatten, ist die absolute Zahl der Generation 60 plus in Dresden so groß wie nie.

Jens-Peter Kruse, der Vorsitzende der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft Altenarbeit, erklärt den Trend: "Der Kirchentag war immer stolz, in der Teilnehmerschaft wesentlich jünger als die Kirche zu sein. Aber mit dem demographischen Wandel würde er dann kleiner." Die Alten als Lückenfüller? Nein, sagt Kruse: "Das Bild von Alter als 'verstaubt' ist auch in der Kirche noch in den Köpfen, aber gilt nicht mehr. 'Im Alter neu werden', unsere EKD-Denkschrift mit diesem Titel markiert den Paradigmenwechsel."

"Die Altersgrenzen für Ehrenämter wurden zu einer anderen Zeit erlassen", begründet Elsbeth Kosalla (50) aus Everswinkel im Münsterland ihre Stimme für die Resolution, als sie später vor dem Kongresszentrum in der Sonne sitzt. "Früher konnten die Alten dann nicht mehr, heute sind sie fitter." Heinz Ködler (80) aus Lorch in Württemberg zum Beispiel wünscht sich, dass er wie früher als Religionslehrer einen kostenlosen Kurs machen kann, um für seinen ehrenamtlichen Dienst als Filmvorführer im Altenheim den Umgang mit Laptop und Beamer zu lernen.

"Die Papphocker sind eine Katastrophe"

Vor dem "Zentrum der Älteren" stehen zwei weißhaarige Paare aus Unna in Nordrhein-Westfalen. Sabine Freudenberg (71) war schon in Berlin beim Kirchentag 1959 dabei. "Später mit den kleinen Kindern war Pause, dann haben wir alle Kinder mitgenommen, und danach fuhren wir wieder allein." Ihr Mann Hans (72) schätzt Massenveranstaltungen nicht so sehr, aber "bei der Vielfalt bin ich stolz auf unsere Kirche", sagt der Pastor im Ruhestand. Gemeinsam mit ihren fast gleichaltrigen Freunden Ursula und Friedhelm Lückmann loben sie die Freundlichkeit, die Begegnung der Generationen, dass "alle eines Sinnes sind".

Gibt es Probleme beim Kirchentag, die sie früher nicht hatten? "Die Papphocker!" sagen sie unisono. "Eine Katastrophe, darauf kann ich nicht mehr länger sitzen". Sabine Freudenberg, die gerade dem Hinabsteigen der Treppe die stützende Hand ihres Mannes ergriffen hatte, wird ernst: "Das wird wohl unser letzter Kirchentag sein." Friedhelm Lückmann nimmt sich vor: "Wir fahren zu viel von einem Veranstaltungsort zum anderen, das mache ich nicht wieder." Enttäuscht sind sie, wenn die ausgewählten Veranstaltungen schon überfüllt sind, was in Dresden häufig der Fall ist.

"Wir Älteren wollen wirklich etwas davon haben", sagt Ursula Lückmann. Auch Ursula Wicklein (70) an der Information im Zentrum Älterwerden bestätigt: "Viele haben sich sehr gut durchgefuchst und das Programm gelesen, aber dann kommen sie abgekämpft zu knapp hier an und sind enttäuscht, wenn sie nicht mehr reinkommen. Sie sind extra nach Dresden gekommen und wollen nicht einfach eine Kaffeepause machen." 240 Personen passen in den Saal im Zentrum, noch einmal so viele mussten jedes Mal abgewiesen werden, sagt Monika Bauer. Die Räume seien wunderschön, wichtig sei auch die Induktionsschleife für Hörgeräteträger im Saal. Jetzt müssten sie sich für Hamburg 2013 mehr Platz erkämpfen.

"Ick will ooch alt werden"

Auch das zusätzliche Forum "Mut und Wut", dass Monika Bauer und ihre Kollegen "zum Trost für die Enge" im Kongresszentrum veranstalten durfte, war mit über 1.000 Teilnehmern übervoll. Die Senioren im Saal hingen an den Lippen ihrer Altersgenossen auf dem Podium, die vom Engagement in ihrem Leben, von ihren Erfahrungen mit "Mut und Wut" erzählten.

Die Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin Prof. Dr. Annelie Keil (72) aus Bremen beindruckte besonders. Sie hatte die Kraft zum Widerstand in ihrer Kindheit entwickelt, als Flüchtlingskind im Nazi-Kinderheim, und als sie sich mit zwölf gegen den Willen der Mutter hatte taufen lassen. Mit Witz und Prägnanz riss sie die Leute zu heftigem Applaus und Jubel hin, als sie zuletzt von einer Begegnung mit einem Berliner Zivi mit Hauptschulabschluss erzählte, der eine Rede von ihr gehört hatte: "Der sagte: Ick hab' nie gedacht, dass ick den Vortrag einer Professorin verstehe. Aber ick hab Sie verstanden. Und ick habe heute beschlossen: Ick will ooch alt werden!"


Katharina Weyandt arbeitet als freie Journalistin für evangelisch.de und betreut den Kreis "Wenn die Eltern älter werden" in unserer Community.