Wie Nicht-Christen zu Noch-Nicht-Christen werden
Wie bringt man Gott und Glauben zu Menschen, die jeden Zugang zu Kirche schon vor Jahren verloren haben? Das ist die Frage, mit der sich Angela Fuhrmann und Anne-Christina Wegner täglich auseinandersetzen. Die eine ist Pastorin in Sömmerda (Thüringen), die andere Pfarrerin in Laucha an der Unstrut (Sachsen). Beim Kirchentag in Dresden erzählten sie ihre Geschichte.
04.06.2011
Von Hanno Terbuyken

"Es ist eine Gegend, in der die Menschen vergessen haben, dass sie Gott vergessen haben", zitiert Pastorin Fuhrmann Altbischof Axel Noack. Ihre Geschichten aus Sömmerda sind schockierend. Als sie vor elf Jahren in die Gemeinde kam, waren in einem der Orte die Fenster der Kirche eingeschlagen, die Orgel verwüstet, vor der Kirche lag ein Haufen Müll.

Es sind Orte, in denen Kirche nur noch eine Randerscheinung ist. Orte, in denen der Enkel seinen Opa fragt: "Da wohnt der Kaspar, oder?", wenn sie an einer Kirche vorbei gehen. Die DDR hat tiefe Risse hinterlassen. In der Gemeinde von Pastorin Fuhrmann in Sömmerda beträgt der Anteil der Kirchenmitglieder gerade mal zehn Prozent, noch viel weniger als der Schnitt von 24 Prozent, der sonst so in Ostdeutschland besteht. Schlimmer noch sind die Vorurteile, die die Menschen dort hegen.

"Man kann das beklagen, aber das hilft nicht", erklärt Pastorin Fuhrmann. Sie versteht es als ihre Aufgabe, die Menschen wieder an die Kirche heranzuführen, selbst in Dörfern, wo gerade mal vier Menschen in den Weihnachtsgottesdienst kamen, als sie ihren Dienst antrat.

Auch Konfessionslose dürfen predigen

Auch in Laucha an der Unstrut war Kirche eine Randerscheinung. Aber Pastorin Wegner ließ sich davon nicht beirren. Ihr Ziel: Kirche wieder zu den Menschen bringen. Beide haben dafür unterschiedliche Mittel gefunden, aber beiden ist gemein, dass sie die Konfessionslosen in ihren Gemeinden einbinden, so weit sie können.

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Das geht sogar so weit, dass in der Lauchaer Gemeinde Gottesdiensten auch mal ein Nicht-Getaufter die Predigt hält. Dafür stützt sich Pastorin Wegner auf die Arbeit in Gemeindegruppen und -kreisen, geleitet von Ehrenamtlichen und bunt gemischt zwischen Konfessionellen und Konfessionslosen. Allerdings werden die Konfessionslosen nie allein gelassen: "Kirche funktioniert nur so, dass wir über unseren Glauben reden und sagen: Komm doch mal mit, bei uns ist's schön."

Jede der Gemeindegruppen ist regelmäßig damit dran, einen Gottesdienst zu gestalten, allerdings nie einen der besonderen Gottesdienste mit Kasualien, sondern immer den einfachen Sonntagsgottesdienst. Aus der Gruppe darf einer die Predigt halten, auch einer von den Ungetauften. Einfach so darf sich trotzdem keiner hinstellen und losreden: "Die Gruppe ist ein Erfahrungsraum, in dem sie lernen, was die Worte bedeuten", sagt Pastorin Wegner. Gerade die Konfessionslosen führen dann ein Gespräch mit dem Text und setzen sich mit der biblischen Botschaft auseinander – eine ur-protestantische Gemeindeform.

Die große Freude kann wirklich allem Volk widerfahren

In Sömmerda ist es noch immer nicht so weit. Hier musste Pastorin Angela Fuhrmann noch mehr Basisarbeit leisten, denn es gab kaum funktionierende Gemeindestrukturen, nur ein kleines Häuflein Aufrechter, die ihren Glauben auch nicht in die Welt trugen. Dort, wo selbst die Weihnachtsbotschaft keinen Anknüpfungspunkt mehr bot, hat sich Pastorin Fuhrmann die Kraft dieser Geschichte zunutze gemacht und Krippenspiele organisiert. "Der Gemeindekirchenrat hat gesagt, jetzt ist sie komplett durchgeknallt", berichtet Fuhrmann, als sie vorschlug, Krippenspiele mit Lokalprominenz aufzuziehen – mit Ärzten, Juristen, Lokalpolitikern.

Das Konzept ging auf. So brachte sie Menschen in Berührung mit Kirche, die sonst nie dorthin gefunden hätten. Einer der Feuerwehrleute, mit denen sie 2009 das Krippenspiel inszenierte, kam nach der ersten Probe zu ihr und sagte: "Ich war noch nie zuvor in einer Kirche." Das Krippenspiel 2010 studierte sie mit Jugendlichen vor Ort ein, Jugendlichen, vor denen sich viele Leute im Ort fürchteten. Drogen, Alkohol, Gewalt – "die Schattenleinwand hat zu Positionen geführt, die man in der Kirche noch nicht zuvor gesehen hat", erinnert sich die Pastorin.

Aber die Jugendlichen haben sich auch auf die Weihnachtsgeschichte eingelassen. "Ich bringe euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird", zitiert Pastorin Fuhrmann aus dem Lukasevangelium. Selbst den Kirchenfernen in Sömmerda.

Gemeinden sind kein säkularer Freizeitpark

"Für uns reflektiert und bezeugt die Verkündigung von Konfessionslosen ihren Weg in und mit der Gemeinde", erklärt Pastorin Wegner. Aber sie weiß auch: Dabei christlich zu bleiben ist eine Herausforderung, der man sich stellen muss. Konfessionslose Gemeindemitglieder nur durch die Mitarbeit bei Hausaufgabenhilfe, Kindernachmittagen und Geburtstagsbesuchen in der Gemeinde zu verankern, reicht nicht. "Die Gemeinde will kein Freizeitpark sein", sagt Wegner.

Der möglichen Säkularisierung begegnet sie vor allem durch ein starkes geistliches Leben: Jede Woche Gottesdienst, jede Woche Andacht, alles mitgestaltet von Ehrenamtlichen, auch ohne das Zutun der Pastorin. Bei allem, was im Namen der Gemeinde geschieht, wird das Christentum als Basis mit nach außen getragen: "Alles Handeln der Gemeinde ist geistliches Handeln."

Der Erfolg gibt Pastorin Wegner Recht. Fünf von 24 Ehrenamtlichen aus einem der Projekte haben sich taufen lassen. Sie drängt niemanden zur Taufe, eine Kirchenmitgliedschaft ist für sie nicht entscheidend: "Taufdruck entsteht nur durch die Sehnsucht, ganz dazugehören zu wollen", sagt die Pastorin. Doch auch diese Sehnsucht wächst. Nicht-Christen gibt es in Laucha nicht mehr, sagen die Gemeinderäte. Sie nennen sie jetzt Noch-Nicht-Christen.


 

Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de.