De Maizière machte deutlich, dass der Vergleich angesichts heutiger internationaler Einsätze in seinen Augen nicht zutrifft: An solchen Einsätzen beteiligten sich eine Reihe von Ländern, die nicht in erster Linie eigene Interessen verfolgten.
De Maizière nahm an einer Diskussion mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, teil. Dieser hatte sich zuvor in einem Interview der "Passauer Neuen Presse" (Donnerstagsausgabe) beunruhigt darüber gezeigt, dass die Bundeswehr schrittweise zu einer Einsatzarmee ausgebaut werde, und erklärt: "Wir dürfen die Bundeswehr nicht zum Instrument einer Kanonenbootpolitik in neuer Form machen."
Der Minister bestätigte, dass sich die Bundeswehr von einer reinen Verteidigungsarmee zu einer Armee im Einsatz gewandelt habe. Er betonte aber den Begriff der Verantwortung. Wenn der Friede oder die Menschenrechte "fundamental verletzt werden", dann sei ein Eingreifen gerechtfertigt, sagte der Minister.
Schuldig durch Tun und Unterlassen
Vor der Veranstaltung hatte de Maizière in Hannover an der zentralen Trauerfeier für drei in Afghanistan getötete Soldaten teilgenommen. Dabei stand er erstmals als Verteidigungsminister vor den Särgen von im Auslandseinsatz getöteten Bundeswehr-Angehörigen.
"Wir werden schuldig durch Tun - und durch Unterlassen", sagte Schneider mit Blick auf Entscheidungen zu Auslands-Einsätzen der Bundeswehr. Es sei immer eine Gratwanderung, das Richtige zu tun. "Wir haben es hier mit einer Fragestellung zu tun, wo keiner mit sauberen Händen rauskommt." Er sei froh, dass "wir in Deutschland sowohl in der Bundeswehr als auch in Ministerien Menschen haben, die sich solche Entscheidungen als Christenmenschen nicht leichtmachen".
Auch de Maizière sagte, eine Unterlassung könne zu Schuld führen. "Wir beten um Erlösung und Frieden in der Welt", erläuterte er: "Durch Gebete allein wird die praktische Welt aber nicht verbessert." Der Minister bestätigte, dass sich die Bundeswehr von einer reinen Verteidigungsarmee zu einer Armee im Einsatz gewandelt habe. Er betonte aber den Begriff der Verantwortung. Wenn der Friede oder die Menschenrechte "fundamental verletzt werden", dann sei ein Eingreifen gerechtfertigt.
Als wichtiges Land in der Welt, das seinen Wohlstand aus der Welt und im Handel mit ihr verdiene, müsse man auch Verantwortung wahrnehmen, fügte de Maizière hinzu. Er wandte sich gegen den Begriff des gerechten Krieges: "Den gibt es nicht, wohl aber den gerechtfertigten Krieg." Schneider warnte während der Debatte vor einem Primat der Sicherheit: "Sicherheit ist eine Vorbedingung für den Frieden, aber Frieden ist immer mehr als Sicherheit", unterstrich er.
Frieden mit Gewalt?
Beim Kirchentag sind sich Friedensforscher und Theologen nicht darüber einig, ob Krisen wie in Libyen und Afghanistan mit oder ohne Gewalt gelöst werden sollten. So plädierte der Norweger Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung am Freitag in einem Diskussionsforum dafür, dass die Nato im Konflikt um Libyen militärisch nicht eingreift. Der russisch-orthodoxe Metropolit Hilarion hielt dem entgegen, Christen könnten nicht ausschließen, Menschen genauso wie Recht und Ordnung mit Waffen zu verteidigen.
Radikaler Pazifismus sei Christen fremd, betonte Hilarion. "Wir müssen Pazifisten sein, aber auch Realisten." Die Welt sei vom menschlichen Bösen geprägt. "Wir müssen daran arbeiten, dass sie sich nicht in eine Hölle verwandelt." Während Hilarion den Einsatz von Waffen zum Schutz der Aufständischen in Libyen nicht ausschließt, setzt Galtung genauso wie der Bremer Friedensforscher Dieter Senghaas auf Dialog und Verständigung.
Renke Brahms: Recht muss durchgesetzt werden
"Libyen gehört den Libyern", betonte Galtung, dem 1987 für seine Arbeit auf dem Gebiet der Friedensforschung der Alternative Nobelpreis verliehen wurde. Senghaas ergänzte, zum gegenwärtigen Zeitpunkt solle die Nato die Flugzeuge abziehen und nicht weiter intervenieren. Beim notwendigen Dialog der Konfliktparteien könne das Ausland "vielleicht mit 100 Moderatoren helfen". Senghaas räumte allerdings ein, ob das funktioniere, "ist völlig offen".
Nach Auffassung des anglikanischen Theologen Nicholas Sagovsky müssen Waffen eingesetzt werden, wenn es keine andere Möglichkeit gebe, den Frieden zu schützen. Doch Gewalt müsse "so minimal angewandt werden wie irgend möglich".
Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, sah es ähnlich. Frieden sei auf Recht angewiesen und das Recht wiederum sei darauf angewiesen, dass es durchgesetzt werde: "Dann kann es möglich sein, dass Gewalt angewendet werden muss." Das sei aber eigentlich keine militärische, sondern eine polizeiliche Aufgabe. Brahms widersprach Hilarion und sagte, das Christentum kenne sehr wohl radikal-pazifistische Strömungen wie etwa die Mennoniten. Für ihn seien sie "der Stachel im Fleisch meiner eigenen Friedensethik".