Merkels Atomausstieg: Fast alle machen mit
Die Länder murrten, die Opposition stellte Bedingungen. Doch bevor der Atomausstieg zerredet werden konnte, gelingt es der Kanzlerin, fast alle ins Boot zu holen: Die AKW sollen stufenweise abgeschaltet werden. Für die Grünen ist es nun schwer, den Plan abzulehnen.
03.06.2011
Von Georg Ismar

Nach Worten des Danks für ein beschleunigtes Verfahren der Länder beim Atomgesetz verkündet die Kanzlerin fast regungslos ein paar Sätze, die es in sich haben. Angela Merkel greift am Freitag im Kanzleramt die Einwände von Ländern, SPD und Grünen auf und macht klar, dass die Abschaltung der verbleibenden neun Atomkraftwerke in Stufen erfolgen wird.

Die Formel lautet: 2015 ein Atommeiler, 2017 noch einer, 2019 ein weiterer, drei 2021 und die letzten drei dann 2022. Die Regierung will feste Enddaten für jeden Meiler, um dem leidigen Problem mit den verbleibenden Reststrommengen, die womöglich zu einer geballten Abschaltung erst 2021/2022 geführt hätten, zu entgehen. So wachse auch das Vertrauen in den Atomausstieg, betont die CDU-Chefin Merkel nach einem Treffen mit allen Ministerpräsidenten. Alle 16 Länder ziehen hier an einem Strang, auch die SPD dürfte mit Merkels Klarstellung mitmachen - und die Grünen können kaum noch Nein sagen. Selbst Greenpeace lobt die Kanzlerin.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hatte zuvor gefordert, dass der Ausstieg unumkehrbar sein müsse, auch wenn er um den Widerstand der Konzerne wisse: "Beim Reiten von Tigern ist das Absteigen bekannterweise das Schwerste", meinte Beck. Er machte klar, dass die Konzerne mit Rückstellungen von mehr als 20 Milliarden Euro den Rückbau der Meiler zunächst einmal selbst bezahlen sollen.

"Stand By" nur im Notfall

Das von den Ländern geforderte Abrücken von einem Atomkraftwerk als Kaltreserve zur Überbrückung von Stromengpässen gibt es hingegen nicht - Merkel betont, dass das "Stand By"-AKW nur im Notfall genutzt werden soll, besser wären Gas- und Kohlekraftwerke.

Damit blieb dem FDP-Chef, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Philipp Rösler eine Niederlage erspart. Er war es, der dieses Thema forciert hatte. Die Übertragungsnetzbetreiber rechnen mit einem Bedarf von bis zu 2000 Megawatt im Winter, wenn es kaum Solarstrom gibt und die Franzosen ihren Atomstrom komplett selbst brauchen. Da neue Alternativkraftwerke erst in den nächsten Jahren bereit stehen, will die Regierung ein AKW als Notfallreserve bis 2013.

Aus Sicht der grün-roten Regierung Baden-Württembergs ist ein Kernkraftwerk als Kaltreserve "Quatsch". "Stand By ist nicht abgeschaltet", heißt es aus der Delegation von Ministerpräsident Wilfried Kretschmann. Hinzu kommt, dass ein AKW in "Stand By" - in Frage kommen das Philipssburg I (Baden-Württemberg) und Biblis B (Hessen) - pro Jahr 50 Millionen Euro kostet. Und Kerntechniker betonen, dass ein Wiederanfahren bis zu drei Tage dauert.

AKW dürfen weiterhin Strommengen übertragen

Am System von Strommengenübertragungen - von Rot-Grün im ersten Atomkonsens mit den AKW-Betreibern vereinbart - hält die Regierung aus rechtlichen Gründen fest, weil alles andere Klagen nach sich ziehen könnte. Die Ergänzung, die am Montag im neuen Atomgesetz vom Bundeskabinett gebilligt werden soll, ist das Nennen konkreter Enddaten. Demnach dürfen weiterhin Stromproduktionsgenehmigungen für stillgelegte Meiler auf andere AKW übertragen werden. "Alles andere wäre Diebstahl an Eigentum", heißt es in Regierungskreisen. Da so aber fast alle Meiler bis 2022 oder 2022 Strom produzieren dürften, entschied sich die Regierung, hier klare Fakten zu schaffen.

Interessant ist, welche neue Allianzen sich plötzlich nach dem GAU von Fukushima auftun. Baden-Württembergs Grünen-Ministerpräsident Kretschmann spricht von einer "Südschiene" mit dem schwarz-gelben Bayern bei der Energiewende. Beide Länder seien dafür eingetreten, Windenergie auf dem Festland, Solarenergie und Biomasse bei der Förderung im Vergleich zu Windparks auf offener See nicht zu diskriminieren.

Vattenfall rechnet mit hunderten Millionen Euro Verlust

Eine Frage, die bisher kaum diskutiert wird, aber der Regierung noch schwerer zu schaffen machen könnte als die Suche nach dem Konsens: Ist die Abschaltung der sieben ältesten AKW rechtlich sauber? Im rot-grünen Ausstieg war die stufenweise Abschaltung über die Strommengen garantiert, die jetzt geplante Massen-Abschaltung wird im Entwurf für ein neues Atomgesetz bisher nicht begründet. Von "Willkür", sprechen Energiemanager.

Vattenfall stellt wie Eon und RWE Entschädigungsforderungen in Aussicht. "Für uns könnte der deutsche Atomausstieg im Geschäftsjahr 2011 hunderte Millionen Euro Verlust bedeuten", sagt Konzernchef Øystein Løseth. Die beschleunigte Energiewende verursacht bei den großen deutschen Kernkraftbetreibern einer Studie der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zufolge Vermögensschäden von bis zu 22 Milliarden Euro. Daher wollen sie nun alle Register ziehen. 

dpa