Mit Mut ans Mikro: Speaker's Corner auf dem Kirchentag
Sie stehen zwar nicht auf einer mitgebrachten Kiste, aber sie haben ein mindestens ebenso großes Publikum wie die Redner der berühmten "Speakers' Corner" im Londoner Hyde Park: Zum ersten Mal gibt es auf einem evangelischen Kirchentag eine eigene Bühne für die Meinung der Teilnehmer. Vor der Dresdner Frauenkirche halten die Kirchentagsbesucher flammende Reden zum Atomausstieg.
03.06.2011
Von Marion Menne

"Die Kirche sollte sich dieser Sache annehmen!" ruft etwa der 76-jährige Rolf Hoffmann aus Großenaspe ins Mikrofon. Der weißbärtige Mann trägt ein Schild um den Hals "Eine andere Welt ist möglich". Ein Passant kontert anschließend: "Die Kirche macht sich kaputt, wenn sie bei jedem gesellschaftlichen Ereignis Partei ergreift." Ein anderer beginnt: "Hallo, man kann nicht einfach Atomkraftwerke abschalten und hat keine Alternative dazu."

Der Kirchentagspräsidentin und Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt lag die "Speakers' Corner" besonders am Herzen. Während in Berlin um den Atomausstieg gerungen wird, soll der Kirchentag in Dresden ein Kirchentag der Energiewende sein und für den Ausstieg stehen.

Prominent vor dem Wahrzeichen Dresdens platziert, gibt es neben dem Mikrofon einen mannshohen Würfel, an dem Kirchentagsteilnehmer grüne Zettel mit ihren Botschaften kleben. "Wasser, Wind und Sonne - AKWs in die Tonne" steht darauf. Oder "We are the green revolution", wir sind die grüne Revolution.

Manchmal humorig, manchmal provkant, aber immer interessant

Eine Dresdner Familie mit zwei kleinen Kindern kommt mit dem Rad vorbei. Die Mutter schreibt "Radfahren mit Kindern im Anhänger", und der Vater malt das passende Bild dazu. "Mehr Atomstrom gegen Klimawandel" fällt drei jungen Männern ein, die die anderen Schreiber offensichtlich etwas provozieren wollen.

Die Zettelaktion unter dem Motto "Mein Beitrag zur Energiewende" soll sich nach dem Willen der Organisatoren über den ganzen Kirchentag ausbreiten. Von möglicherweise 10.000 dieser grünen Botschaften spricht Jutta Wieding, Organisatorin und Assistentin im Generalsekretariat des Kirchentages. Bis zum Ende der Großveranstaltung am Sonntag sollen sie auf die Papphocker der Veranstaltungsräume des Kirchentagsgeländes geklebt werden.

Manche müssen überredet werden, andere liefern sich Duelle

"Es ist ein emotionales Thema", sagt Eva Suß von der Organisation Campact, die als ehrenamtliche Helferin den Leuten in der "Speakers' Corner" das Mikro in die Hand drückt. Manchmal muss sie die Passanten zum Reden überreden, manchmal entbrennt auch eine hitzige Diskussion zwischen mehreren Rednern.

Rolf Hoffmann zum Beispiel, der hier so vehement dafür plädiert, dass die Kirche den Atomausstieg mit vorantreibt, kennt sich aus mit den "Redner-Ecken". Schon in den 70er Jahren habe er sich in größere Städte wie Hamburg oder Kiel gestellt, erzählt er, auf einem umgedrehten Einkaufskorb. Gesprochen habe er über alles, über Religion, Erziehung, sogar die Rechtschreibreform. Dazu trug er wie in Dresden ein Schild bei sich - "um zu provozieren und mit anderen ins Gespräch zu kommen". 

epd