Frieden, Armut, Gerechtigkeit - die Bergpredigt passt
In den Bibelarbeiten auf dem 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag ging es am Donnerstagvormittag um die Bergpredigt. Theologen und Politiker mahnten zu mehr Gerechtigkeit, Frieden und Umweltschutz.

Die frühere hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann beklagte die hohe Kinderarmut in Deutschland und auf der Welt. Kinderarmut sei "nicht interessant, politisch hat sie kein Gewicht, ökonomisch ist sie irrelevant", sagte die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei einer Auslegung der Bergpredigt am Donnerstag beim 33. Evangelischen Kirchentag in Dresden. Sie verwies auf ihre Predigt in der Dresdner Frauenkirche vom 1. Januar 2010, in der ihr viel beachteter und auch kritisierter Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" gefallen war.

Während ihr der Afghanistan-Satz "um die Ohren geschleudert wurde, zu politischen Anfragen führte", habe offensichtlich niemand der darauf folgende Absatz interessiert, sagte Käßmann. Damals hatte sie gesagt, dass nicht alles gut sei, "wenn so viele Kinder arm sind im eigenen Land". Diese Kinderarmut verstecke sich oft ganz still im Hintergrund. Es sei merkwürdig, dass diese Passage niemand zitiert habe, "obwohl die Predigt für so viel Aufmerksamkeit und Kritik" gesorgt habe. Kinderarmut habe "ganz offensichtlich keine Relevanz und keine Lobby".

Beten bei Kerzenlicht besser als Bomben

Käßmann zitierte aus der Statistik der Welthungerhilfe aus dem Jahr 2010: "In Entwicklungsländern sind 195 Millionen Kinder unter fünf Jahren zu klein für ihr Alter und damit unterentwickelt." Diese Zahlen täten weh, erschütterten und verstörten. "Weil hinter jeder Zahl ein Schicksal steckt, ein Leben, Hoffnung, Elend, Zerstörung", sagte die Ex-Bischöfin: "Was eigentlich, wenn täglich 6.027 Westeuropäer an Hunger sterben würden? Wie alarmiert wären wir, wenn wir es schon bei zehn Toten durch EHEC sind?"

Im Hinblick auf die Afghanistan-Debatte wies Käßmann die Kritik des früheren Wehrbeauftragten Reinhold Robbe scharf zurück, der ihr geraten hatte, sich in ein Zelt zu setzen und mit den Taliban bei Kerzenlicht zu beten. „Offen gestanden finde ich, ist das eine wesentlich bessere Idee als die Bombardierung von Tanklastwagen in Kundus." Während ihrer Bibelarbeit wandte sich Käßmann direkt an den anwesenden Bundespräsidenten Christian Wulff mit den Worten: "Die Kirchen müssen immer wieder fragen, ob es legitim sein kann, am Waffenhandel zu verdienen." Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) ist der deutsche Anteil am internationalen Waffenhandel zwischen 2005 und 2010 auf elf Prozent gestiegen.

Altbischof Huber wirbt für den Frieden

Auch der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, sagte, zum guten menschlichen Zusammenleben gehöre aber auch der Kampf gegen Armut. Unterschiede im Lebensstandard beträfen mittlerweile nicht mehr nur Schwellen-, sondern auch Industrieländer. "Es ist kein Naturgesetz, sondern menschlicher Mutwille, wenn nahezu eine Milliarde Menschen auf unserem Globus hungert und viele verhungern, Tag für Tag", sagte er. Schließlich sei die "Ernährungskatastrophe" ein Problem ungerechter Verteilung und mutwilliger Vernichtung von Lebensmitteln, betonte Huber. Jeder Einzelne trage dazu bei.

Für Huber ist der aktive Einsatz für den Frieden von großer Bedeutung. Der Konflikt in Libyen, aber auch der Tod deutscher Soldaten im Einsatz zeigten die Aktualität und die Notwendigkeit, sich "lauter für den Frieden auszusprechen", sagte der Berliner Altbischof am Donnerstag auf dem Kirchentag in Dresden.

Auch sei die Religionsfreiheit als Menschenrecht ein wichtiges, zu verteidigendes Thema. "Wir setzen uns als Christen auch für die Religionsfreiheit Andersgläubiger ein", sagte er. Dieses Recht sei unteilbar.

Steffensky: Selbstbezogenheit ist höchste Form der Verblödung

Der evangelische Theologe Fulbert Steffensky rief zu mehr Solidarität und Einsatz für Gerechtigkeit auf. "Die höchste Form der Verblödung ist, sich selber Ziel und Endpunkt zu sein; nichts anderes wahrzunehmen als sich selbst und für nichts anderes einzustehen als für sich selbst", sagte Steffensky am Donnerstag laut Redemanuskript in seiner Bibelarbeit. Dies gelte für Einzelpersonen ebenso wie für Gruppen.

Steffensky erinnerte an die Debatte um Äußerungen der Linken-Vorsitzenden Gesine Lötzsch, die in einer Programmdiskussion ihrer Partei das Wort Kommunismus positiv besetzte. Auch er habe das angesichts der deutschen Geschichte als naiv empfunden, sagte der emeritierte Hamburger Professor für Religionspädagogik: "Aber ich wünschte, wir würden mit demselben Zorn reagieren, wo das Eigentum des Volkes zerstört und aufgefressen wird."

Als Beispiel nannte Steffensky den russischen Oligarchen Roman Abramowitsch, der sich bei der Werft Blohm & Voss in Hamburg eine Jacht für vermutlich 800 Millionen Euro bauen lasse. "Vorläufig sind diese moralischen Idioten selig, nicht aber die Sanftmütigen", sagte er in seiner Auslegung der biblischen Bergpredigt. "Vorläufig sind die selig, die Unsummen an den Waffen verdienen, mit denen die Kinder der Ärmsten umkommen", sagte Steffensky. Die Bibel zeichne jedoch ein anderes Bild.

Darum sei auch die Kirche aufgerufen, sich einzumischen. "Die Kirche ist ein wundervoller Verein, der größere Interessen kennt als die eigenen", sagte der Theologe. Sie müsse aufmerksam sein für den Frieden, die ökologische Bedrohung der Erde und die Zukunft der kommenden Generationen.

Schorlemmer für einfühlsamen Umgang mit der Natur

Der Theologe Friedrich Schorlemmer mahnte eine "Selbstbegrenzung" beim Ressourcenverbrauch und die Vermeidung weiterer Umweltschäden an. Er forderte weltweite Standards dafür. "Die Aufgaben sind gigantisch, die Szenarien apokalyptisch", sagte der 67-Jährige laut Redemanuskript.

Als Beispiele für den rücksichtslosen Umgang mit der Natur nannte Schorlemmer Hühner-Großmastanlagen, die Fischereiwirtschaft und die Abholzung von Wäldern. "Sanfte Technologien zu suchen, dass heißt auch mitfühlsamer Umgang mit Natur und Kreatur", sagte er.

Der Theologe schlug vor, dass Bauleute vom Architekten bis zum Baggerfahrer auch eine Ausbildung in Ökologie erhalten sollten. Dann hätten sie auch ein Verhältnis zu Bäumen, die nicht immer nur die Baufreiheit störten. Schorlemmer sprach sich zudem gegen die Gewinnung von Atomstrom aus und äußerte Zweifel an der Energiepolitik der Bundesregierung. Manche Politiker hätten eine "merkwürdige 180-Grad-Wendung" vollzogen. Er hoffe, dass sie bei geänderter Stimmung nicht auf den alten Pfad zurückkehrten.

Künast: Schneller Atomausstieg ist Frage der Gerechtigkeit

Nach Ansicht der Grünen-Politikerin Renate Künast ist ein schneller Atomausstieg auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. "Wir dürfen anderen nicht unseren Müll hinterlassen", sagte sie am Donnerstag bei einer Bibelarbeit auf dem evangelischen Kirchentag in Dresden.

Der Atomunfall im japanischen Fukushima habe leider den Befürchtungen recht gegeben, dass diese Form der Energiegewinnung nicht sicher sei, sagte die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag. Neben einem schnellen Ausstieg sei auch die Erhöhung der Sicherheitsstandards wichtig. "Wir wollen keine Energie, die auf Kosten anderer geht", sagte Künast.

Vor dem Hintergrund anhaltender Flüchtlingsströme aus Afrika mahnte Künast, sich weltweit für mehr Gerechtigkeit zu engagieren. "Gerade bei wachsender Knappheit von Ressourcen wie Erdöl, Wasser oder Ackerfläche muss ich mich für die Armen einsetzen", sagte sie. Dies widerspräche zwar vielleicht der Ansicht von manchen Wirtschaftswissenschaftlern, aber es sei wichtig, die gesellschaftliche Debatte wenigstens anzustoßen. 

epd/kirchentag.de