Streit über Konsequenzen aus Fall Kachelmann
Die schwarz-gelbe Koalition steht nach dem Prozess gegen Jörg Kachelmann vor einem neuen Zwist. Rechtsexperten der Union wollen die Berichterstattung über Vergewaltigungsprozesse beschränken. Der Presserat, der Koalitionspartner FDP sowie der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sind dagegen.

Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Siegfried Kauder (CDU), sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch): "Es darf nicht sein, dass die Intimsphäre der Betroffenen bis in den letzten Winkel in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wird." Die Medien müssten verpflichtet werden, nicht über Aussagen zu berichten, die vor Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht würden. "Was hilft es dem Opfer einer Vergewaltigung, dass es sich hinter verschlossenen Türen dem Gericht anvertrauen kann, wenn sämtliche Aussagedetails später doch in der Zeitung stehen?" sagte Kauder.

Selbstverpflichtung oder Gesetz?

Auch CSU-Rechtsexperte Norbert Geis forderte einen "Ehrenkodex, mit dem sich die Branche verpflichtet, weitaus zurückhaltender über Prozesse wegen sexueller Gewalt zu berichten". Kauder schlug vor, strengere Auflagen für die Berichterstattung über Sexualdelikte notfalls gesetzlich zu regeln, "soweit die Medien sich nicht zu einer überzeugenden Selbstverpflichtung bereiterklären".

Dies lehnt der DJV kategorisch ab. Der Pressekodex des Deutschen Presserates ziehe hier schon eindeutige Grenzen, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken am Mittwoch. "Der Schutz der Privatsphäre von Opfern wie auch von Zeugen hat Vorrang vor der Berichterstattung", sagte er. "Diese Selbstverpflichtung der Medien macht gesetzliche Regelungen überflüssig". Rechtspolitiker sollten sich erst mit der Sachlage vertraut machen, bevor sie die Pressefreiheit in Teilen zur Disposition stellten. Außerdem sei es verfassungswidrig, die Berichterstattung per Gesetz einzuschränken.

Verbot von Geldzahlungen gefordert

Der DJV-Landesverband Brandenburg sprach sich dafür aus, nach den Erfahrungen des Kachelmann-Prozesses den Pressekodex um einen Passus zu erweitern. "Medien dürfen Verfahrensbeteiligten in Gerichtsverfahren keinerlei Vergünstigungen oder Geld vor Ende ihrer Teilnahme am Verfahren anbieten", zitierte der Geschäftsführer Klaus Minhardt den in einer Vorstandssitzung beschlossenen Passus. "Über Zeugen und deren Äußerungen darf erst nach deren Anhörung vor Gericht berichtet werden", heißt es weiter. Somit soll verhindert werden, dass Zeugen vorab in Interviews Auskunft geben.

Die FDP stellte sich ebenfalls gegen die Kauder-Forderung. Eine gesetzliche Einschränkung der Berichterstattung bezeichnete der liberale Innen- und Rechtspolitiker Hartfrid Wolff als "absurd". Der Opferschutz sei schon jetzt Aufgabe des Gerichts und habe Vorrang vor der Berichterstattung. "Eine weitergehende Einschränkung der Pressefreiheit ist mit der FDP-Bundestagsfraktion nicht zu machen", sagte Wolff.

Presserat: Kein Grund für Beschränkungen

Der Deutsche Presserat sieht keinen Anlass für eine gesetzliche Beschränkung der Berichterstattung über Vergewaltigungsprozesse. "Das wäre ein Eingriff in die Pressefreiheit, und da muss man den Anfängen wehren", sagte der Sprecher des Selbstkontrollgremiums, Bernd Hilder, am Mittwoch in einem epd-Gespräch. Er reagierte damit auf einen Vorstoß der Unionspolitiker Siegfried Kauder und Norbert Geis. Würden diese Vorschläge umgesetzt, könne es in der Konsequenz zu "Urteilen hinter verschlossenen Türen" kommen, warnte Hilder, der Chefredakteur der "Leipziger Volkszeitung" ist.

Hintergrund der Debatte ist die Kritik an der Medienberichterstattung zum Kachelmann-Prozess. Der Journalismus in Deutschland brauche auch keinen neuen Ehrenkodex, weil es bereits den Pressekodex des Deutschen Presserats gebe, sagte Hilder. Bisher seien zur Kachelmann-Berichterstattung erst fünf Beschwerden bei dem Gremium eingegangen. In keinem Fall habe der Presserat einen gravierenden Verstoß festgestellt. "Die Politik sollte sich daher vor übereilten Schlussfolgerungen hüten, zumal der Zeitpunkt nach einem so emotionalen Gerichtsprozess denkbar schlecht ist."

Es sei erstaunlich, "dass jetzt plötzlich die Medien an allem schuld sein sollen", kritisierte Hilder. "Ebenso könnten sich die Rechtsanwälte und die Staatsanwälte fragen, ob sie einen neuen Ehrenkodex brauchen." Die sensiblen Informationen zum Kachelmann-Verfahren seien von diesen Stellen an die Medien gespielt worden. Allerdings seien Journalisten auch zu einer professionellen Distanz verpflichtet.

dpa/epd