"Nina sieht es", 8. Juni, 20.15 Uhr im Ersten
Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen, hat ein Bundeskanzler mal empfohlen. Diesen Rat Helmut Schmidts hat Steuerberaterin Nina längst beherzigt, aber geholfen hat es ihr nichts: Sie kann in die Zukunft sehen. Das klingt ganz lustig, ist für Nina aber eher Fluch als Segen. Außerdem leidet sie unter einem Trauma, seit sie als Kind einen tödlichen Unfall ihrer Eltern nicht verhindern konnte. Sie hatte vorausgesehen, dass das Auto von einem Zug erfasst wird und deshalb die Uhren verstellt, aber der Tod hatte sich nicht austricksen lassen. Nun hat die junge Frau erneut düstere Vorahnungen, diesmal von einer Katastrophe, die über die Stadt hereinbrechen wird. Hauptakteur ihrer Träume ist ein finsterer Mann mit arabischen Zügen.
Mit Mina Tander und Stephan Kampwirth
Nach "Lisas Fluch" (ausgestrahlt im April) versucht sich der Hessische Rundfunk also erneut an einer übersinnlichen Geschichte. Damals konnte eine Frau ihre Mitmenschen telepathisch beeinflussen. Allerdings war die Handlung nicht nur unglaubwürdig, sondern auch überschaubar. Gemessen daran ist "Nina sieht es" der weitaus gelungenere Film; das durfte man aber auch erwarten, schließlich war Rolf Silber ("Echte Kerle") für Buch und Regie verantwortlich. Einziges Manko ist das Spiel der Hauptdarstellerin. Dank ihrer Attraktivität ist Mina Tander in jeder Hinsicht das Zentrum des Films, aber ihre Interpretation der Rolle trägt immer wieder komödiantische Züge. Das passt jedoch weder zur Verzweiflung der Figur noch zum Ernst, mit der Silber die Geschichte erzählt. Stephan Kampwirth ist als Suchender, der sich von Nina eine Antwort auf die wichtigste Frage seines Lebens erhofft, deutlich glaubwürdiger. Max hat ein "Institut für Anomalistik" gegründet, doch im Grunde will er nicht anderen, sondern sich selbst helfen: vor Jahren ist seine depressive Frau spurlos verschwunden; seither hält er Ausschau nach einem Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten, der ihm etwas über ihr Schicksal erzählen kann.
Ninas Visionen zum Trotz ist Max die Figur mit dem größeren Tiefgang: Durch die jahrelange vergebliche Suche ist frühere Arzt zum generellen Skeptiker geworden; auch Nina hält er zunächst bloß für ähnlich überspannt wie all die anderen, die sich von ihm behandeln lassen. Während Tander mit den typischen schauspielerischen Versatzstücken einer romantischen Komödie arbeitet, ist die beginnende Zuneigung von Max dank Kampwirths subtilem Spiel mehr spürbar als sichtbar. Vor lauter Romanze verlieren inklusive Silber alle Beteiligten jedoch die Katastrophe aus den Augen. Erst ein erfolgreicher Casino-Besuch beseitigt Max’ Zweifel; gemeinsam retten sie zwar nicht die Welt, aber doch immerhin Frankfurt.
Die Visionen der Feuerbälle am städtischen Nachthimmel halten einem Vergleich mit gängigen Katastrophenfilmen naturgemäß nicht stand, aber Mina Tander ist enorm hübsch anzuschauen. Ein immer wieder eingewobener Seitenstrang mit Ninas Bruder (Lucas Gregorowicz), einem notorischen Spieler, der keine Visionen und auch kein Geld, aber diverse Kinder mit verschiedenen Frauen hat, ist durchaus vergnüglich. Und die Romanze zwischen Nina und Max ist auch deshalb reizvoll, weil Tander und Kampwirth so unterschiedlich sind. Einige der paranormalen Momente könnten zwar auch aus dem Kinderfernsehen stammen (etwa wenn sich die Nudeln in Ninas Buchstabensuppe zu ihrem Namen zusammenfügen), und die Intermezzi mit Peter Lerchbaumer als angeblich früherem Großinquisitor sind ebenso blödsinnig wie überflüssig; aber wenn man "Nina sieht es" nicht gerade beispielsweise an Jack Golds Klassiker "Der Schrecken der Medusa" misst, ist der Film durchaus sehenswert.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).