Was war das für ein Gefühl, das restaurierte Instrument spielen zu können?
Markus Leidenberger: Ich war es eineinhalb Jahrzehnte gewöhnt, mit den Unzulänglichkeiten des Instruments zu leben. Es war eine Überraschung für mich, dass an dieser Orgel nun alle Spielvorgänge präzise funktionieren. Dazu kommt der angenehme Klang, den die Intonateure aus dem Pfeifenmaterial herausgeholt haben. Er ist wirklich eine Freude.
Wenn ein Haus, auch ein Gotteshaus restauriert oder neu gebaut wird, steht am Anfang die Idee eines Architekten, ein Konzept, ein Plan. Wie war dies beim Dresdner Projekt? Gab es gleich eine starke Strömung für die Erhaltung des historischen Erscheinungsbilds der Orgel?
Leidenberger: Die jetzige Lösung war nach mehreren Anläufen gefunden worden. Von Anfang an standen zwei unterschiedliche Möglichkeiten zur Disposition: Erhaltung des gewachsenen Bestandes oder technischer Neubau unter Verwendung aller denkmalgeschützten Teile von 1887.
Dabei war durchaus auch in Erwägung gekommen, das alte Prospekt von 1887 zu rekonstruieren. Das wäre allerdings baulich und finanziell sehr aufwendig geworden. Nun also haben wir das äußere Erscheinungsbild von 1937 erhalten.
Für das Restaurierungsprojekt ging der Zuschlag an die Firma, die auch das ursprüngliche Instrument gebaut hat. Warum? Wurde auf eine Ausschreibung verzichtet?
Leidenberger: Im Orgelbau wird nur selten öffentlich ausgeschrieben, da es sich um ein Kunsthandwerk handelt und je nach Aufgabenstellung nur bestimmte Firmen in Frage kommen. Ein Angebot abzugeben ist für die Firmen ein enormer Aufwand. Nicht jede Firma, die man anfragt, ist bereit, ein Angebot abzugeben. Wir sind verpflichtet, wenigstens drei Angebote einzuholen, und dem haben wir auch entsprochen. In unserem Fall ist die Firma ortsansässig. Das spart Kosten für Anfahrtswege und Übernachtungen für die Mitarbeiter bei der langen Bauphase und gewährt für die Zukunft eine unkomplizierte Wartung. Die Erbauerfirma wieder zu beauftragen wahrt in gewisser Weise die Identität des Instrumentes.
Zu den Stationen eines solchen Prozesses: Wer entscheidet? Wer überwacht oder – besser vielleicht – begleitet fachlich?
Leidenberger: Da es sich um ein großes Projekt handelte, das außerdem unter Denkmalgesichtspunkten zu bewerten war, wurde von Anbeginn ein Orgelsachverständiger unserer Landeskirche mit der Begleitung des Prozesses vom Kirchenvorstand beauftragt. So hat Reimund Böhmig 15 Jahre lang das Projekt entwickelt und von der ersten Einschätzung der Restaurierungsnotwendigkeit, über die Ausschreibung bis zur Abnahme begleitet.
Was waren die größten Hindernisse auf dem Weg zur vollendeten Restaurierung?
Leidenberger: Am Anfang ist uns bei der komplizierten Lage des mehrfach umgebauten Instrumentes die Entscheidung für eine bestimmte konzeptionelle Lösung nicht leicht gefallen. Die Finanzen spielen dabei immer auch eine Rolle. Wir bekamen keine Baugenehmigung für die Orgel vor der Fertigstellung der Außer- und Innensanierung der Kirche. Das hat die Orgelrestaurierung fast ein Jahrzehnt warten lassen. Man restauriert nicht für teures Geld ein Instrument, um es gleich anschließend im Baudreck untergehen zu lassen. Das war in unserem Fall auch richtig so.
Das Projekt kostet 380.000 Euro – eine Belastung für eine Gemeinde in einem Gebiet Dresdens durchaus nicht ohne Strukturschwächen. Nun wurde zwar das Budget vom Kultur- und Denkmalamt Dresdens, der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und weiteren Institutionen zum Teil finanziert, doch blieb dann immer noch eine offene Summe. Gibt es vielleicht ein Finanzierungsgeheimnis, von dem andere Gemeinden in ähnlicher Lage profitieren könnten?
Leidenberger: Durch die Zuwendung der Landeshauptstadt kamen wir in die Lage, das Geld zu nehmen und sofort zu bauen - oder später womöglich keine Förderung der öffentlichen Hand mehr zu erhalten, bei jährlich steigenden Kosten. Der Kirchenvorstand hat erkannt, dass die Orgelrestaurierung unumgänglich ist, und mit Mut die positive Entscheidung getroffen. Der richtige Augenblick wurde nicht verpasst, und dafür bin ich dem Vorstand sehr dankbar.
Die Martin-Luther-Gemeinde hat in den letzten Jahren zwei große Projekte realisieren können: die Sanierung der Kirche und direkt danach die Restaurierung der Orgel. Was sind die Hauptmotive für ein solches Engagement? Ist die Orgel in der Evangelischen Kirchengemeinde das Herzstück...
Leidenberger: Es gab in der Dresdner Neustadt Mitte der neunziger Jahre die Zeit des großen Wegzugs. Die Wohnungen des Stadtteils wurden saniert. In der Zeit dachte man mehr an Grundsicherung der kirchlichen Gebäude, an das Zusammenrücken der Gemeinden in der Neustadt. Dann setzte nach der Sanierung des Stadtteils ein in dem Ausmaß nicht abzusehender Zuzug ein, sodass wir mit über 8.500 Gemeindegliedern nunmehr das größte Kirchspiel der Landeskirche sind. Deshalb brauchen wir die große Kirche tatsächlich auch wieder. Nunmehr sind eher unsere sonstigen Gemeinderäume zu klein.
...und unverzichtbar für protestantische Verkündigung?
Leidenberger: Die Orgel gehört seit mehreren Jahrhunderten zur Innenausstattung einer Kirche. In der Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten kann sie von einem Menschen bedient werden. Das altertümliche Instrument ist immer noch das bestgeeignete, um große Räume zu füllen, den Gesang der Gemeinde zu tragen. Das hindert nicht, dass in Kirchen auch viele andere Instrumente gespielt werden. Eine Orgel ist für mich ein großes Werkzeug zum Lob Gottes. Sie ist besonders geeignet, von der Größe und dem Geheimnis Gottes zu reden.
Was bedeutet die Restaurierung für das musikalische Leben der Gemeinde? Gibt es neue Ideen, weil nun realisierbar ist, was mit dem alten Instrument nicht möglich war?
Leidenberger: Tatsächlich kann das restaurierte Instrument nun die Organisten wieder anregen über die Orgel frischen Wind in die Gemeinde zu blasen. Das passt gut zu unserer quirligen Gemeinde. Schon freuen sich Studenten der Hochschule für Kirchenmusik unserer Landeskirche, hier Prüfungen abzulegen. Auf einem Instrument, das reiche Farbmöglichkeiten bietet und zur Improvisation anregt. Die Orgelworkshops für Kinder und Kinderorgelkonzerte erfreuten sich schon vor der Restaurierung großer Beliebtheit. Sie können jetzt wieder stattfinden, wie überhaupt die gottesdienstliche und konzertante Orgelmusik neu entfacht wird. Eine neue Welt zur Ehre Gottes und zum Dienst an den Menschen steht offen.
Ralf Siepmann ist freier Autor in Bonn.