Die Staatsanwaltschaft in Dortmund ermittelt gegen ein führendes Unternehmen der Leiharbeitsbranche, weil es jahrelang illegal christlichen Gewerkschaften Mitglieder zugeführt haben soll. Den Angaben zufolge wurde den Arbeitern ein Gewerkschaftsbeitrag vom Lohn abgezogen, ohne dass sie dies bemerkt hätten. Der Tatverdacht gegen die Geschäftsführer der Dortmunder Unternehmensgruppe Artos lautet "Veruntreuung von Sozialleistungen". Artos hat mit einer christlichen Gewerkschaft Stundenlöhne von unter fünf Euro ausgehandelt - kein Einzelfall in Deutschland.
CGZP-Tarifverträge unwirksam
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) im Dezember 2010 die Tariffähigkeit abgesprochen. Ihr fehle es allein schon aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl an der erforderlichen "Sozialmächtigkeit". Mit ihr stehe den Arbeitgebern kein durchsetzungsfähiger Tarifpartner gegenüber. Folglich konnte die CGZP für 2009 keine Tarifverträge abschließen, entschieden die obersten Arbeitsrichter. Zum gleichen Urteil kam am Montag das Arbeitsgericht Berlin für die Jahre 2004 bis 2008.
Die CGZP gründete sich 2002. In ihr schlossen sich christliche Gewerkschaften zusammen, um Tarifverträge für die Leiharbeitsbranche abzuschließen. Die Medien berichten über die mitgliederschwachen christlichen Gewerkschaften vor allem deshalb, weil sie in aller Regel Tarifverträge im Sinne der Arbeitgeber abschließen: mit Minilöhnen, verkürzten Kündigungsfristen und verlängerten Arbeitszeiten.
Auch mit der nun von den Dortmunder Staatsanwälten in Visier genommenen Unternehmensgruppe Artos hat eine christliche Gewerkschaft tarifliche Stundenlöhne von unter fünf Euro vereinbart. Ob die Staatsanwälte ihre Ermittlungen auf den Tarifpartner von Artos, die christliche Einzelgewerkschaft BIGD (Beschäftigtenverband Industrie, Gewerbe, Dienstleistung) ausweitet, ist noch offen. Wenn sich bei dem Zeitarbeitsunternehmen der Verdacht der Untreue erhärten sollte, werde die Frage der Beihilfe durch Vertreter der Gewerkschaft BIGD geprüft. "Das ist aber erst der zweite Schritt. Das Ganze ist juristisch nicht so einfach", sagte Staatsanwältin Ina Holznagel dem epd.
Lange Tradition christlicher Gewerkschaften
Die christlichen Gewerkschaften blicken auf eine lange Tradition zurück. Sie wurden Ende des 19. Jahrhunderts als Gegengewicht zu den freien Gewerkschaften gegründet. 1918 zählten die christlichen Gewerkschaften rund eine halbe Million vorwiegend katholische Mitglieder. Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 gliederten sie sich in das nationalsozialistische "Aktionskomitee zum Schutze der deutschen Arbeit" ein, wurden später aber zwangsaufgelöst.
Nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen sich die christlichen Gewerkschaften den DGB-Gewerkschaften an. Ihre Hoffnung auf ein festes Quorum des christlich-sozialen Flügels in den Gremien des DGB erfüllte sich jedoch nicht. Daraufhin wurde 1955 die christliche Gewerkschaftsbewegung ins Leben gerufen, was damals von der Leitung der katholischen Kirche ausdrücklich begrüßt wurde.
Kriminelle Tarifpolitik
Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) distanziert sich indes von der Tarifpolitik der christlichen Gewerkschaften. "Das ist zum Teil kriminell, was die christlichen Gewerkschaften machen. Hinter so etwas kann man nicht stehen", wird KAB-Pressesprecher Matthias Rabbe deutlich.
"Bis Ende der 80er Jahre führten die christlichen Gewerkschaften ein Schattendasein", sagt Wolfgang Schroeder, Staatssekretär im brandenburgischen Sozialministerium, der als Hochschulassistent seine Doktorarbeit über die Geschichte der christlichen Gewerkschaften geschrieben hat. Nach der Wiedervereinigung, sagt das frühere Vorstandsmitglied der IG Metall, hätten die christlichen Gewerkschaften mit der Unterstützung von Metall-Arbeitgebern versucht, vor allem in Ostdeutschland Fuß zu fassen. Ab 2002 haben sie laut Schröder ihre Aktivitäten in der Leiharbeitsbranche gebündelt und sich dort als Tarifpartner angeboten.