Umweltdrama: Fünf Jahre Schlammvulkan Lusi
Die Moschee von Besuki bietet einen gespenstischen Anblick. Das große Gotteshaus inmitten von Feldern mit wild wucherndem Unkraut wirkt wie eine Ruine, dabei ist die Moschee noch in Betrieb. Aber die Häuser von Besuki werden derzeit abgerissen. Umweltgifte aus dem nahegelegen Schlammvulkan haben das Leben in dem indonesischen Dorf unmöglich gemacht.
27.05.2011
Von Robert Spring

Am Dorfrand von Besuki im Distrikt Sidoarjo erhebt sich ein gut 20 Meter hoher Damm hinter dem sich ein riesiger Schlammsee erstreckt. In der Ferne steigt eine dicke, weiße Qualmsäule in den blauen Himmel über Ostjava. Dort befindet sich das Bohrloch "Banjar Panji-1", aus dem seit fünf Jahren unaufhörlich zäher, stinkender und heißer Schlamm aus gut 3.000 Metern Tiefe herausquillt. Lusi nennen die Betroffenen den Schlammvulkan, eine Wortschöpfung aus Lumpur, dem indonesischen Begriff für Schlamm und eben Sidoarjo.

Zwölf Dörfer sind inzwischen unter einer inzwischen bis zu 15 Meter dicken Schlammschicht verschwunden und 13.000 Familien haben ihre Häuser und ihre Lebensgrundlagen verloren. Zu den schlimmsten Zeiten quollen täglich 180.000 Kubikmeter Schlamm aus dem Bohrloch, genug, um 40 Swimming Pools im Olympiaformat zu füllen. Heute reichen nach Expertenschätzungen die täglichen Schlammmengen "nur" noch für vier solcher Schwimmbecken.

Gasbohrung als Ursache?

Über die Ursache des Schlammvulkans gibt es Streit. Für die Firma Lapindo Brantas, trägt ein Erdbeben die Schuld an der Katastrophe, das eine Woche vor Ausbruch des Schlammvulkansein die gut 300 Kilometer entfernte Großstadt Yogyakarta in Zentraljava erschütterte. Lapindo Brantas gehört zum Firmenimperium von Indonesiens reichstem Mann Aburizal Bakrie, der zum Zeitpunkt der Katastrophe Sozialminister im Kabinett von Staatspräsident Susilo Bambang Yudhoyono war. Heute ist Bakrie Vorsitzender der Partei Golkar und hat Ambitionen 2014 zum Präsidenten Indonesiens gewählt zu werden.

Umweltorganisationen und die Betroffenen aber sind davon überzeugt, dass eine unprofessionell durchgeführte Gasbohrung Lusi ausgelöst hat. Bestärkt wird diese Vermutung durch die Ergebnisse unabhängiger Untersuchungen internationaler Wissenschaftler, allen voran von Professor Richard Davies von der britischen Universität Durham. Professor Davies sagt, auch im Namen von Kollegen aus Norwegen, Australien und den USA: "Wir sind zu 99 Prozent sicher, dass die Bohrung die Ursache war." Für das Onlineinternetmagazin Fastcompany.com gehört Lusi zu jenen acht Projekten zur Energiegewinnung mit schlimmsten Auswirkungen auf die soziale und natürliche Umwelt. Mit auf der Liste stehen der Drei-Schluchten-Damm in China und die Ölpest im Golf von Mexiko nach dem Brand der BP-Bohrinsel Deepwater Horizon.

Entschädigungen fließen spärlich

Das Dörfchen Pejarakan, nur einen Katzensprung von Besuki entfernt, ist schon abgerissen. Auch hier hat Lusi das Leben unmöglich gemacht. Gleich daneben liegt Mindi. Mindi und Pejarakan gehen ineinander über. In Mindi ist auch alles verseucht. "Wir haben Angst. Überall steigt aus Erdritzen giftiges Methan auf. Wir sehen das Gas, wenn nach Regenschauern in den Pfützen die Gasbläschen aufsteigen. Bei uns hinterm Haus hat es vor ein paar Monaten plötzlich gebrannt. Auch daran war das Gas schuld. Methan ist sehr leicht entflammbar", sagt Basori. Der 65 Jahre alte ehemalige Beamte klagt: "Das Grundwasser ist durch Schwermetalle verseucht. Das Wasser läuft braun aus dem Hahn und ist nicht mehr trinkbar. Die Behörden haben uns einen Wassertank spendiert. Das Wasser aus dem Tank ist kostenlos, wenn er denn gefüllt wird."

Warum Mindi bisher nicht auch zum betroffenen Gebiet erklärt worden ist, darüber kann Basori nur spekulieren. "Perajakan ist kleiner als Mindi, es hat nur 28 Hektar. Vielleicht ist das billiger. Da müssen nicht so viele Menschen entschädigt werden." Lapindo zahlt Entschädigungen für die Menschen, die unmittelbar durch den Schlammvulkan ihr Hab und Gut verloren haben. Die Regierung kommt für jene auf, deren Dörfer durch die mittelbaren Folgen unbewohnbar geworden sind und abgerissen werden.

In der Praxis sieht es nicht gut aus mit den Entschädigungen. Zahlungen sowohl der Behörden als auch von Lapindo werden verzögert oder korrupte Beamte bedienen sich aus den Entschädigungsfonds. Pasandi (Foto) gehört zu jenen, deren Haus, deren Dorf, deren Lebensgrundlage der Schlamm unter sich begraben hat. Seinen Lebensunterhalt verdient sich der 48-jährige, der sich als glühender Fan von Schalke 04 outet, mit dem Verkauf von Souvenirs an Lusi-Besucher. Der Katastrophentourismus auf dem Damm um den Schlammsee blüht. Anfangs hat der ehemalige Reisbauer monatliche Entschädigungszahlungen erhalten. "Aber seit sechs Monaten habe ich keine einzige Rupiah mehr bekommen", sagt Pasandi. Nicht gut zu sprechen ist Pasandi auf die Betroffenenorganisation. "Der Vorsitzende ist inzwischen dicke mit Lapindo", sagt er.

Die Kinder leiden am meisten

Abdul Rokhim hat gar keine Entschädigung bekommen. Der Familienvater war Pächter eines Reisfelds, auf dem durch die Versalzung des Bodens nichts mehr angebaut werden kann. Entschädigt wurde aber nur der Grundbesitzer. Jetzt arbeitet Rokhim als Tagelöhner bei einem Bauern. Abends ist er Moderator des von Walhi Jatim unterstützten Bürgerradios. In den Talkshows, Ratgebersendungen und Nachrichten des Senders geht es um die Rechte der Opfer, die ausbleibenden Entschädigungen, die zunehmenden Gesundheitsprobleme unter den Anwohnern des Schlammvulkans als Folge der Verseuchung der Böden, der Luft und des Grundwassers mit Schwermetallen. Aus mehr als 200 Erdritzen in der Region dringt Methangas, Tendenz zunehmend.

Atemwegserkrankungen, Hautprobleme, Gastritis, und Durchfall sind die häufigsten Gesundheitsprobleme in den Dörfern rund um den Schlammvulkan. "Im April sind drei Babies an Atemwegserkrankungen gestorben", sagt Rokhim und fügt hinzu: "Am meisten leiden die Alten und die kleinen Kinder unter der Umweltverseuchung." Das aktuellste Thema des Radios aber sind Lapindos Zukunftspläne. An gleich zwölf Stellen in unmittelbarer Nähe des Schlammsees sollen neue Gasvorkommen angebohrt werden. Bitter sagt Rokhim: "Das ist doch verrückt."

Noch ist die Moschee in Besuki (Foto) in Betrieb. Ob sie auch abgerissen werden muss, ist noch offen. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch das islamische Gotteshaus in unmittelbarer Nähe des Damms auf die eine oder andere Weise ein Opfer des Schlammvulkans wird, der nach Expertenmeinung noch 26 Jahre Matsch, Dampf, Gas und Umweltgifte ausspucken wird. Vielleicht wird die Luft eines Tages selbst für die Teilnehmer der Freitagsgebete zu giftig. Oder der Damm bricht, wie es erst wieder am letzten Aprilwochenende nicht weit von der Moschee entfernt passiert ist. Oder aber der Boden versumpft weiter. Zwischen den Gräbern des kleinen Friedhofs neben der Moschee stehen schon Wasserpfützen, in denen Methangasbläschen blubbern.