Schweizer Wissenschaftlerin: Gott ist nicht im Gehirn
Die Schweizer Theologin Christina Aus der Au sitzt als einzige Ausländerin im Präsidium des Evangelischen Kirchentags. Grenzen zu überwinden, gehört auch im Alltag zu ihrer Arbeit.
27.05.2011
Von Fabian Kramer

Schon früh zog es Christina Aus der Au in die Fremde. Direkt nach ihrer Schulzeit im ostschweizerischen Kanton Thurgau ging sie an die Universität Tübingen, wo sie einen Magister in Rhetorik und Philosophie machte, bevor sie in Zürich ihr Theologiestudium aufnahm. Auch heute noch, als habilitierte Privatdozentin, stechen ihre rhetorischen Fähigkeiten heraus. Im Interview beantwortet sie Fragen schnell und klar, unterbrochen nur dann und wann von einem hellen Lachen.

Ihre Redegewandtheit wird sie beim kommenden Kirchentag gut brauchen können. Als Moderatorin spricht sie in Dresden unter anderem mit Bayerns Ministerpräsident a.D. Günther Beckstein über die Kirche als gesellschaftlichen "Player", außerdem begrüßt sie den Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière und den EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider zur Podiumsdiskussion über christliche Friedensethik und Verteidigungspolitik.

Expertin für Theologie und Naturwissenschaften

Ethische Fragen gehören seit langem zu den Schwerpunkten in Aus der Aus Forschungsarbeit. Ihre Dissertation schrieb sie zum Thema Umweltethik, unter dem programmatischen Titel "Achtsam wahrnehmen". Die 44-Jährige will "andere anstecken mit einer bestimmten Weltsicht, die Achtsamkeit beinhaltet, für Menschliches und nicht Menschliches". Dementsprechend engagiert sie sich etwa für den Tierschutz und als Verwaltungsrätin der sozial-ökologisch ausgerichteten Alternativen Bank Schweiz. (Foto: Fabian Kramer)

Neben ihrer Lehrtätigkeit ist sie zudem Geschäftsführerin des Zürcher Zentrums für Kirchenentwicklung.
Bekannt wurde Christina Aus der Au vor allem als Expertin für die theologische Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften. Besonders die Gehirnforschung hat es ihr angetan. Ihre Habilitationsschrift verfasste sie über das Menschenbild in den Neurowissenschaften und der Theologie.

Es gibt keine genetisch veranlagte Spiritualität

Was hält sie von der These eines "Gottes-Gens", welches angeblich der US-Forscher Dean Hamer entdeckte und das im Hirnstoffwechsel für religiöses Empfinden verantwortlich sein soll? Aus der Au lacht: "Das ist Quatsch. Das würde auch Dean Hamer sagen. Der Begriff wurde ihm als Buchtitel von seinem Verlag aufgezwungen." Sicherlich sei eine bestimmte genetische Variation im Erbgut spirituell orientierter Testpersonen gehäuft aufgetreten. Aber weil "Spiritualität" dabei absolut vage definiert wurde, sei dies ähnlich aussagekräftig, als ob man herausfände, dass Blondhaarige öfter glücklich seien.

Überhaupt könne und solle der Ansatz der Naturwissenschaften, die Dinge zu erklären, nicht mit demjenigen der Religion konkurrieren, findet die Grenzgängerin zwischen den Disziplinen, die in Basel lebt und mit einem Physiker verheiratet ist. Hier gehe es um die Beschreibung von Ursachen und Wirkungen, dort um den Sinn und die Suche nach den letzten Gründen.

Neurologen haben nicht auf alles eine Antwort

Wichtig ist für Christina Aus der Au, dass der christliche Glaube nicht ängstlich zu sein braucht in der Diskussion. "Wenn unser Gott nur noch ein Lückenbüßer-Gott ist in den Lücken, die ihm die Naturwissenschaften lassen, dann stehen wir eines Tages mit dem Rücken zur Wand." Dazu gibt es keinen Anlass. Denn auch das Erkenntnisvermögen der modernen Forschung ist beschränkt. Beispielsweise haben die Neurologen nach wie vor keine Antwort auf die Kernfrage, wie Bewusstsein entsteht.

Und wie sieht Aus der Aus eigene Gottesvision aus? Die Mutter einer dreijährigen Tochter vergleicht ihre Vorstellung ganz einfach mit dem Duft von frischgebackenem Brot: "Wenn es so unwiderstehlich riecht aus der Küche, geht man hinein. Obwohl einen niemand dazu zwingt."


Fabian Kramer ist freier Journalist.