All das prophezeien die Energiekonzerne bei einem zu schnellen Ausstieg aus der Atomkraft. In einer gemeinsamen Erklärung teilten die Versorger mit, dass vor allem im Winter der Strom in Deutschland knapp werden könnte. Dann sei "die Versorgung der Kunden ernsthaft gefährdet." Schon bei nur noch neun Kernkraftwerken am Netz drohten Stromausfälle. Dass derzeit bei nur vier AKW noch keine Lichter ausgehen, liege lediglich daran, dass in den Sommermonaten weniger Strom verbraucht wird und mehr Energie aus der Solarkraft kommt.
Auch Fritz Vahrenholt, ehemaliger Umweltsenator in Hamburg, rät von einem zu schnellen Atomausstieg ab: "Die erneuerbaren Energien sind noch nicht konkurrenzfähig." Ein Blackout, also ein Stromausfall in ganzen Regionen, könne momentan nur noch durch Stromimporte aus dem Ausland verhindert werden. Zusätzlich warnt Vahrenholt vor unerfüllbaren Erwartungen an die regenerativen Energien. "Zu hohe Ansprüche und die damit verbundene Enttäuschung kann die Stimmung schnell gegen Solar und Co. kippen lassen."
Blackout-Spekulationen sind "unverschämt"
Anders als die Stromkonzerne sieht es Ulrich Kelber, stellvertretender SPD-Fraktionschef im Bundestag: "Es gibt keinen Kapazitätenengpass." Die Aufgabe der ausreichenden Stromversorgung liege allein bei den Netzbetreibern. "Die Spekulationen über einen Blackout halte ich für hochgradig unseriös." Damit ist Kelber nicht allein: Auch Dorothée Menzner von der Linkspartei sieht in den Prognosen der Versorger eine "unverschämte Drohung." Die Konzerne wollten ihre alten Kernkraftwerke "in die Zukunft retten, um damit weiter täglich eine Million Euro Gewinn pro AKW zu machen."
Wer hat nun recht? Droht Deutschland wirklich der Blackout? "Nein", sagt Jürgen Gabriel vom Bremer Energie-Institut. "Deutschland hat normalerweise 20 bis 30 Prozent Stromreserven, die zum Beispiel durch alte Kohlekraftwerke nutzbar gemacht werden können." Auch die Aussage, die Stromversorgung sei nur noch durch Importe gesichert, hält Gabriel für falsch: "Deutschland importiert zur Zeit Strom, das stimmt. Die komplette Stromversorgung hängt davon jedoch nicht ab."
Im Notfall könnten alte Kraftwerke aushelfen
Und wie sieht es im Winter aus? Wird – wie von den Konzernen befürchtet – in der kalten Jahreszeit der Strom knapp? "Das glaube ich auch nicht", sagt Gabriel. Und selbst wenn es zu Engpässen kommen sollte, könnten die Netzbetreiber alte Kraftwerke hochfahren, die den Bedarf decken würden. Deren Umweltbilanz und Effizienz sind zwar schlecht, aber dadurch würde die Versorgung gesichert.
Außerdem könne man in Erwägung ziehen, dass bei Knappheit der Strom für Großverbraucher, wie zum Beispiel eine Fabrik, abgestellt wird: "Das ist immer noch besser, als wenn eine Kleinstadt im Dunkeln sitzt." Die betroffene Fabrik müsse dann natürlich entschädigt werden.
Die Menschen müssten bei einem raschen Atomausstieg einige Einschränkungen über sich ergehen lassen. "Wer alle AKW abschalten will, der muss flexibel sein und Abstriche machen." So müssten sich die Menschen beispielsweise darauf einstellen, "die Waschmaschine anstatt abends um 18 Uhr auch mal morgens um 10 Uhr oder sogar nachts zu starten." Die Energiewende ist also auch eine gesellschaftliche Frage, sagt Gabriel: "Den Atomausstieg gibt's natürlich nicht umsonst."
Ganze Branchen könnten abwandern
Ein großes Argument der Energiekonzerne ist zudem die Schädigung des Wirtschaftsstandort. Jürgen Gabriel hält es durchaus für realistisch, dass Firmen bei steigenden Strompreisen ihre Produktion ins Ausland verlagern. "Ganze Wirtschaftszweige könnten so aus Deutschland vertrieben werden." Die Strompreisdebatte möchte Gabriel unterdessen nicht anrühren: "Dazu kann ich nichts sagen. Die genauen Kosten der Stromproduktion kennen nur die Konzerne selbst.“ Deshalb sei es schwer einzuschätzen, wie stark sich die Preise erhöhen.
Eine Studie des Umweltbundesamts, die Ende Mai veröffentlicht wurde, rechnet jedoch vor, dass bei einem schnellen Ausstieg die Strompreise nur um 0,6 bis 0,8 Cent pro Kilowattstunde stiegen. Auch beim Wirtschaftwachstum seien "keine nennenswerten Einbußen" zu erwarten.
Ganz ohne Schwierigkeiten und Hindernisse geht die Energiewende also nicht von der Hand. Vor allem dem Argument der Wirtschaftsflucht stimmt der Energieexperte Gabriel zu. Dagegen ist ein Blackout in Deutschland eher unwahrscheinlich – auch im Winter. Dunkle Städte und frierende Menschen drohen uns also nicht.
Philipp Ruiz Liard ist Praktikant bei evangelisch.de.