"Ein einfacheres Leben", 1. Juni, 20.15 Uhr im Ersten
Was für ein kühner Genrewechsel! Die Geschichte beginnt wie ein Thriller, wandelt sich aber nach dem Prolog zum Familiendrama, das schließlich sogar romantische Züge annimmt. Und die Erzählweise entschleunigt sich ähnlich radikal, als die Hauptfigur die Großstadt verlässt und irgendwo in der schwedischen Provinz strandet.
Im Grunde erzählen Josefine Broman und Daniel Karlsson in ihrem Drehbuch zu dieser schwedisch-deutschen Koproduktion eine klassische Aussteigergeschichte: Ein erfolgreicher Hamburger Finanzmanager lässt sein stressreiches Leben hinter sich und zieht sich in ein ländliches Refugium zurück. Allerdings findet der Ausstieg nicht ganz freiwillig statt: Peter Hofmann (Ulrich Noethen) hat sich kräftig verspekuliert und einen kompletten Fonds in den Sand gesetzt. Als sich rausstellt, dass mit der Anlage offenbar Schwarzgeld der Mafia gewaschen werden sollte, muss er um sein Leben fürchten. Bei Nacht und Nebel packt er seine Kinder ins Auto und flieht nach Schweden. Dort sieht es allerdings ganz anders aus als in der üblichen Fernsehidylle: Der Winter naht, es ist kalt und grau, und die Bewohner des Dorfes, in dem die Familie zufällig strandet, sind zunächst auch nicht gerade freundlich gestimmt.
Wie schon in dem Drama "Das wahre Leben" ist Noethen der perfekte Darsteller für die Rolle des anfangs nicht sonderlich sympathischen verwitweten Familienvaters, der glaubt, alles unter Kontrolle zu haben, im Lauf der Jahre aber jeden Bezug seinen Kindern verloren hat. Jetzt sind sie beide Teenager und entsprechend rebellisch. Hofmann muss feststellen, dass er keine Ahnung hat, was Sohn und Tochter so treiben: Nina (Isabel Bongard) ist 14 und hat ein Verhältnis mit ihrem Deutschlehrer, Bastian (Robin Becker) ist 15 und kifft sich die Welt schön. Tiefpunkt der Beziehung ist Ninas offen ausgesprochener Wunsch, nicht die Mutter, sondern der Vater hätte sterben sollen.
Miteinander reden
Aber immerhin reden sie überhaupt wieder miteinander, und unter dem positiven Einfluss der ebenso hübschen wie alleinstehenden Polizistin Helena (Lisa Nilsson), die ihnen auch das Ferienhaus vermietet, findet die Familie zaghaft zueinander. Bleibt bloß noch die Sache mit der Mafia. Als sein bester Freund und Kollege bei einem angeblichen Autounfall ums Leben kommt, dämmert Hofmann, dass er nach Hamburg zurück muss, um das Problem ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen.
Auch wenn der Schluss etwas unglaubwürdig wirkt: Die Geschichte ist reizvoll und fesselnd umgesetzt. Gerade das Zusammenspiel von Noethen und den jugendlichen Darstellern ist sehenswert (Regie: Marcus Olsson). Schade nur, dass auch die Schweden ein makelloses Deutsch sprechen, weshalb die Nazi-Anspielungen der Dorfjugend ("Achtung, Achtung!") völlig verpuffen. Zudem ist die Synchronisierung der jungen Schweden nicht immer geglückt. Das gilt auch für die Filmkinder. In den Dialogen mit Noethen klingen Bongard und Becker überzeugend und natürlich, aber vermutlich mussten sie sich in den Szenen mit den Schweden selbst synchronisieren, und das hört sich doch recht künstlich an. Aber darüber kann man ohne Weiteres hinweghören.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).