"Willkommen in Wien", 30. Mai, 20.15 Uhr im Zweiten
In österreichisch-deutschen Koproduktionen sprechen die Menschen meist ein auffallend reines Hochdeutsch; die Konflikte bewegen sich zuverlässig im überschaubaren zwischenmenschlichen Rahmen. Gemessen an diesen meist rührseligen Geschichten ist "Willkommen in Wien" eine heilsame Ohrfeige. Der Film macht es hiesigen Zuschauern schon allein deshalb nicht einfach, weil eine der beiden Hauptfiguren schlicht nicht zu verstehen ist. Das mag man reichlich unverschämt finden, ist aber Teil der Handlung, denn der zweiten Hauptfigur geht es nicht anders.
Im Rahmen eines Austauschprogramms bekommt Albert Schuh, alter Hase aus dem Wiener Einbruchsdezernat und somit waschechter Kieberer (Polizist), einen neuen Partner: den ebenso ehrgeizigen wie unerfahrenen Thorsten Richter aus Kassel. Schuh ist entsetzt: Der junge Mann ist, wie er sich ausdrückt, noch in der Pubertät, "ein Volksschüler". Sein größerer Fehler aber zeigt sich erst später: Richter ist durch und durch korrekt; aus Sicht des Wieners ein echter Deutscher eben.
Der Alte schikaniert den Jungen
Natürlich macht sich das Drehbuch (Katharina Bali und Regisseur Nikolaus Leytner) einen Riesenspaß daraus, die beiden Kontrahenten nach Strich und Faden gegeneinander aufzuhetzen. Der Alte schikaniert den Jungen, wo er nur kann. Richter, nicht faul, will den Wiener Sumpf austrocknen und mit Schuh anfangen, denn der Kollege pflegt eine Berufsauffassung, die ihm regelrecht zuwider ist: Schuh hat zwar eine erstklassige Aufklärungsquote, hält aber auch gern die Hand auf. Wolfgang Böck, hierzulande allenfalls als Hauptfigur der "Trautmann"-Filme bekannt, ist eine großartige Besetzung für den "Kieberer". Florian Bartholomäi wiederum verkörpert den "Piefke" so konsequent als korrekten Beamten, dass Richter mit seinem exakten Seitenscheitel auch in einem Film über die Nazi-Zeit nicht weiter auffallen würde.
Zum Glück beschränkt sich die Handlung nicht auf diese allerdings höchst amüsanten Scharmützel: Schuhs früherer Partner ist erschossen worden. Weil er den Kollegen von der Mordkommission nicht traut, überträgt er Richter immer wieder blödsinnige Aufgaben, um derweil nach dem Täter zu suchen. Mal parkt er den jungen Mann "under cover" als Telefonist bei einer Sex-Hotline, mal lässt er ihn, da reichlich eifersüchtig, seine Freundin (Julia Stemberger) überwachen. Trotzdem ist es ausgerechnet Richter, der ihn zum Ziel führt: Nach weiteren Morden stellt sich raus, dass die Weste des angesehenen russischen Antiquitätenhändlers Andropow (Heinz Hoenig) keineswegs so sauber ist, wie seine mächtigen Freunde aus der Politik behaupten.
Leytner, zuletzt mehrfach preisgekrönt für sein Drama "Ein halbes Leben", knüpft mit seiner Erzählweise an frühere Komödien an ("Drei Herren"). Man spürt förmlich, wie viel Freude gerade die österreichischen Darsteller an den selbstironischen Elementen der Inszenierung haben. Da gilt auch für Aglaia Szyszkowitz als Schuhs Chefin, die es an Steifheit locker mit dem deutschen Gast aufnahmen kann. Aber am schönsten ist naturgemäß die vorsichtige Annäherung der beiden Hauptfiguren, die im Lauf der Zusammenarbeit merken, dass die Methoden des Anderen auch was für sich haben; fast wird aus dem "Kieberer" ein "Haberer" (Freund). Das überraschende und etwas unbefriedigende Ende lässt auf eine Fortsetzung hoffen, die laut ZDF-Angaben allerdings nicht geplant ist.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).