"Tatort: Ausgelöscht", 29. Mai, 20.15 Uhr im Ersten
Warum ein "Tatort" wie kürzlich "Herrenabend" (aus Münster) an die zwölf Millionen Zuschauer erreicht hat, lässt sich allein mit der Qualität des Films kaum erklären. Aber all jenen, die sich an den Dialogduellen von Jan Josef Liefers und Axel Prahl erfreut haben, müsste auch dieser Beitrag aus Wien gefallen. Als Krimi ist "Ausgelöscht" ohnehin der bessere Film; und der Schluss ist ein echter Knüller.
Schon der rasante Epilog deutet an, dass Uli Brée (Buch) und Harald Sicheritz (Regie) etwas ganz Besonderes im Sinn hatten: Untermalt von packender Thriller-Musik (Lothar Scherpe) rollt langsam ein Einkaufswagen mit einer nackten Männerleiche ins Bild. Zu harter Rock-Musik rast im Anschluss ein Geländewagen durch Wien. Die Fahrt endet im Schaufenster eines Juweliergeschäfts, die beiden Räuber entkommen auf Motorrädern. Erst später zeigt sich, dass der Überfall ein Rückblick war; der nackte Tote ist einer der Täter. Zuvor allerdings ändert sich der Tonfall radikal: Sonderermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) wird von seiner Ärztin auf strikte Diät gesetzt; andernfalls werde er das sechzigste Lebensjahr kaum erreichen.
Eine wunderbare Basis für komische Momente: Der fortan permanent heißhungrige Eisner darf nichts essen, Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser), die trockene Alkoholikerin, darf nichts trinken. Bevor sich das Duo um das Mordopfer im Einkaufswagen kümmern kann, muss Eisner die Mitarbeiterin aus einem zwielichtigen Etablissement holen, wo sie einem Zuhälter mit dem drolligen Spitznamen Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz) ein Ständchen bringt.
Ein Drahtzieher in Wien
Ähnlich wie bei Thiel und Boerne aus Münster dienen die komödiantischen Elemente immer wieder der Auflockerung eines im Grunde knallharten Krimis: Eine offenbar aus Bulgarien gesteuerte Bande raubt in Wien regelmäßig und gezielt Geschäfte aus. Kurz nach dem ersten Toten, der anscheinend ein Maulwurf war, wird ein zweiter Mann auf die gleiche Weise hingerichtet: ein Schuss ins Knie, um eine Information zu erpressen, der zweite in den Kopf. Die Kugeln stammen jedoch aus unterschiedlichen Waffen. Eisner und Fellner stehen vor einem Rätsel. Die sympathisch schüchterne Kollegin Donka Galabova (Dessi Urumova) aus Sofia ist zunächst auch keine große Hilfe. Eins aber ist klar: Es muss in Wien einen Drahtzieher geben. Und aus unterschiedlichsten Gründen gibt es bei allen Beteiligten, Tätern wie Opfern, eine Verbindung zu dem aalglatten Anwalt Deutschmann (Bernhard Schir).
"Ausgelöscht" ist schon allein wegen der raffiniert erzählten Geschichte sehenswert, zumal Brée die Handlung um diverse originelle Nebenfiguren ergänzt. "Inkasso-Heinzi" zum Beispiel ist zwar Zuhälter, aber schwul; eigentlich ein Widerspruch in sich. Die Sorgfalt der Umsetzung zeigt sich auch in der Musik. Als die bulgarische Kollegin in der Pathologie das erste Opfer betrachtet, deuten allein die romantischen Klänge an, dass die rassige Donka mehr als bloß ein berufliches Interesse an dem Mann hatte. Das Ende der Geschichte ist für einen von vielerlei Konventionen geprägten Sendeplatz wie dem "Tatort" durchaus mutig; und verblüffend sowieso.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).