Ausgerechnet kurz vor dem G8-Gipfel erhielt Barack Obama einen Nackenschlag, der ihn lange schmerzen wird. Niemand in Washington erinnert sich, dass ein US-Präsident im eigenen Land von einem Gast derart abgewatscht wurde. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu gab sich nicht mal sonderlich Mühe, sein Nein zu Obamas Nahost-Friedensplänen höflich einzukleiden. Kein anderer wagt es, Obama derart zu demontieren. Dabei wollen die Gipfelteilnehmer in Deauville zum mächtigsten Mann der Welt durchaus aufblicken - und erwarten Führung. Doch die Zeiten, da die USA immer und in jedem Fall den Weg zeigen, sind vorbei.
Schwere Zeiten für Obama
"Man hört weniger auf die USA", analysiert das Pariser Elite-Blatt "Le Monde" die neue Lage. "Ihr Einfluss scheint zurückzugehen." Und das ausgerechnet jetzt, da der Sturm des arabischen Frühlings über den Nahen Osten hinwegfegt.
Kein Zweifel: Obama erlebt derzeit schwere Zeiten. Der arabische Frühling - ein Spitzenthema in Deauville - erweckt nicht nur rosige und unbeschwerte Gefühle. Hinzu kommt die Pleite in Sachen Nahost-Verhandlungen, die schlechte Konjunktur, die Schuldenkrise im eigenen Land - und zudem zeichnet sich der Wahlkampf am Horizont ab. Selbst der Triumph über Osama bin Laden verschafft da nur kurze Linderung.
Die Kurzformel Obamas und des Westens für die politischen Erdbeben in Nahost ist einfach: Demokratie ist auf dem Vormarsch, Diktatoren fallen, die Geschichte geht den rechten Gang. Doch zugleich gibt es Unwägbarkeiten, die Angst machen: Der andauernde, hässliche Bürgerkrieg in Libyen, in den die Nato faktisch verstrickt ist. Die brutale Unterdrückung durch Syriens Machthaber Baschar al-Assad, der den Drohungen des Westens trotzt. Eine gefährliche Gemengelage - nicht einmal die USA wissen echten Rat.
Ein Stück "neue Weltordnung"
Obama und der Westen, allen voran Frankreich, haben sich in Sachen "Abenteuer Libyen" schwer verschätzt. "Gaddafi muss gehen", hatte Obama zu Beginn des Waffengangs vollmundig gesagt. Das Kalkül war, dass der Machthaber in Tripolis innerhalb kürzester Zeit untergeht. Eine Fehlkalkulation, wie sich zeigt.
Jetzt, da die Nato-Operation ins Stocken geraten ist, rufen Frankreich und Großbritannien wieder nach dem "großen Bruder" - doch der ziert sich.
Was sich seit Beginn des Libyenfeldzuges vollzieht, ist ein Stück "neue Weltordnung": Nur ungern und widerwillig hat sich Washington in den Konflikt hineinziehen lassen. Lediglich ein paar Tage lang hatten die US-Militärs den Waffengang angeführt. Von Anfang an hatte Obama nur ein Ziel: So schnell wie möglich die Bürde loszuwerden, das Kommando an die Nato weiterzureichen. "Der Libyenkrieg ist die erste Nato-Intervention, bei dem die USA nicht am Steuer sitzen", meint ein Berater im Weißen Haus. Und das mit sichtlicher Befriedigung.
Europa ist gefragt
Die "Weltmacht Nummer eins" bei einer Militäraktion auf dem Rücksitz. Das ist die "Obama-Strategie" - angekündigt hatte er sie schon vor drei Jahren im Wahlkampf. Tenor: Amerika kann nicht alles richten, Europa ist gefragt. Ein Stück neue Welt eben.
Doch jetzt, da die Militäraktion am Himmel über Libyen ins Stock gerät, ertönt wieder der Ruf nach Amerika. Vor allem Frankreich und Großbritannien machten sich im Gipfel-Vorfeld dafür stark, dass sich die US-Militärs militärisch mehr engagieren. Doch Obamas Strategie lautet nach wie vor, dass der Waffengang "auf keinem Fall ein amerikanisches Gesicht haben darf". Zwei US-Kriege in der islamischen Welt sind genug. Nun müssen die Europäer ins Geschirr.
"Die immer größere Zusammenarbeit mit Europa ist ein Katalysator für internationale Aktionen", umschreibt eine Obama-Helferin die Strategie. Das ist ein wolkiger Satz, den Diplomaten lieben, weil er alles bedeuten kann - eigentlich ein Satz ideal fürs G8-Abschlussdokument.