Seit knapp drei Monaten ist Thomas de Maizière Verteidigungsminister. An diesem Mittwoch erlebt er die wohl schwersten Stunden seiner noch jungen Amtszeit. Um 7.34 Uhr deutscher Zeit explodieren im gefährlichsten Distrikt Nordafghanistans, 14 Kilometer vom deutschen Feldlager Kundus entfernt, zwei Sprengsätze. Drei gepanzerte Fahrzeuge einer deutschen Patrouille werden getroffen. Einer der Insassen, ein 33-jähriger Hauptmann, überlebt die Attacke nicht. Er ist der 49. Tote, den die Bundeswehr seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes 2001 zu beklagen hat.
Es kommt nicht überraschend
De Maizière wusste, dass ein solcher schwarzer Tag früher oder später kommen würde. Bei seinem ersten Truppenbesuch in Afghanistan Ende März hatte er die Soldaten auf weitere Verluste eingestellt. "Das ist ein hoher Zoll, der zu bezahlen ist, aber er ist mit diesem Einsatz verbunden", sagte er damals.
Die Nachricht vom ersten Verlust der Bundeswehr in Afghanistan während seiner Amtszeit erreicht den Minister kurz vor einem wichtigen Termin im Verteidigungsausschuss. Dort will er die Abgeordneten des Bundestag erstmals ausführlich über seine Pläne für den Umbau der Bundeswehr informieren. Das Treffen ist von großer Bedeutung für de Maizière, der seine Reformpläne möglichst im Konsens mit der Opposition durchsetzen will.
Die Nachricht aus Afghanistan relativiert aber zunächst einmal alles andere und lässt die große Bundeswehrreform zu einer Nebensächlichkeit zusammenschrumpfen. Am Nachmittag tritt de Maizière im Ministerium vor die Presse. Sein Gesicht ist wie versteinert, er redet langsam: "Dieser Anschlag berührt auch uns alle. Er trifft uns alle ins Herz."
Abzug vielleicht noch in diesem Jahr
Die Bundeswehrreform hatte Afghanistan, die zweite große Baustelle, die der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) seinem Nachfolger de Maizière hinterlassen hatte, in den vergangenen Wochen etwas in den Hintergrund geraten lassen. Jetzt ist die Aufmerksamkeit auf einen Schlag wieder da. Im März hatte die internationale Schutztruppe Isaf mit der Übergabe der ersten Gebiete an die afghanischen Sicherheitskräfte begonnen. Im Juli wollen die USA - der mit Abstand größte Truppensteller - mit dem Abzug ihrer Soldaten beginnen. Deutschland will als drittgrößter Truppensteller möglichst noch in diesem Jahr nachziehen - wenn die Lage es zulässt.
Was diese Formulierung aus dem vom Bundestag im Januar beschlossenen Mandatstext bedeutet, kann aber niemand so genau sagen. Fest steht, dass die Bundeswehr und die Amerikaner im Norden Afghanistans im vergangenen Jahr einige Erfolge im Kampf mit den Taliban verbuchen konnten. In einer Offensive konnten einige Gebiete "freigekämpft" werden, darunter auch Char Darah, wo jetzt der Anschlag stattfand. Auch der Bundeswehr war aber klar, dass die Extremisten versuchen würden, in der aktuellen "Kampfsaison" ihren Einfluss in der Provinz Kundus wieder auszudehnen.
"Wir haben die richtige Strategie"
Den Aufständischen gelang es unter anderem, im März den Provinz-Polizeichef zu ermorden. Vor wenigen Wochen töteten sie einen prominenten Ex-Taliban-Kommandeur, der zur Regierung übergelaufen war. Dennoch gab es in den vergangenen Monaten keine komplexen Hinterhalte wie etwa am Karfreitag 2010 - damals starben drei deutsche Soldaten. Auch Anschläge mit Sprengfallen sind weniger geworden. All das lässt sich als Zeichen einer Schwächung der Taliban interpretieren.
De Maizière betont aber am Mittwoch, dass das Risiko "bitterer Rückschläge" auch in Zukunft bestehen werde. Beirren lassen will er sich trotzdem nicht. "Wir machen Fortschritte in Afghanistan. Wir haben die richtige Strategie, und diese Strategie werden wir auch weiter durchsetzen."
Zum Bibelwort "Und sie hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen" (Jes 2,4) wird Verteidigungsminister de Maizière zusammen mit EKD-Ratsvorsitzendem Nikolaus Schneider einen Vortrag zum Thema "Wie ein Christ Friedensethik und Verteidigungspolitik zusammenbringt" auf dem Kirchentag halten.