Carolas* Vater trank schon vor ihrer Geburt und trinkt noch heute. "Die Sucht meines Vaters hat mein ganzes Leben beeinflusst", sagt die heute 25-Jährige. Bereits mit neun Jahren holte Carola ihm Bier. "Das war normal für mich." Freunde lotste Carola immer gleich in ihr Zimmer, damit sie ihrem Vater nicht begegneten. Sie schüttete Alkohol weg und versuchte so, seinen Konsum zu kontrollieren – ohne Erfolg. "Er war eigentlich nie für mich da und hat sich nicht für mich interessiert", sagt die blonde junge Frau. Trotzdem hatte sie Angst um ihn. "Ich wollte ja nicht, dass er mit 45 stirbt."
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Geschätzte 2,6 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 leben bundesweit mit alkoholkranken Eltern zusammen, rund sechs Millionen Erwachsene sind in einer suchtbelasteten Familie aufgewachsen. Das Risiko der Kinder, später selbst suchtkrank zu werden oder andere psychische Probleme zu entwickeln, ist hoch. Die Eltern sind aufgrund der Suchterkrankung oft nicht in der Lage, den kindlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Auch der andere Elternteil ist häufig so sehr mit dem Suchtkranken beschäftigt, dass für die Kinder keine Zeit bleibt. "Ich glaube, ich musste schon früh erwachsen werden", sagt Carola heute im Rückblick.
Die Kinder fühlen sich schuldig
"Kinder und Jugendliche fühlen sich oft schuldig und den Eltern gegenüber verantwortlich", erklärt Stefan Stark, Diplom-Pädagoge und Leiter von Drachenherz, einem Arbeitsbereich der Marburger Suchtberatungsstelle des Blauen Kreuzes in Deutschland (BKD), die der Diakonie angegliedert ist. 20 Kinder aus suchtbelasteten Familien zwischen vier und 18 Jahren finden hier derzeit Hilfe, die meisten sind zwischen acht und 14 Jahren alt. Für ein bis zwei Jahre kommen sie zu Spieltherapie und zu Gesprächen.
Vor allem für jüngere Kinder steht das Spiel im Mittelpunkt, weil Spielen die Sprache des Kindes ist, wie Stark erläutert, der auch Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche ist: "Im Spiel agieren die Kinder aus, was sie belastet, zeigen Trauer und Wut". Solche Gefühle werden spielerisch zum Thema gemacht, indem zum Beispiel eine andere Puppe sagt: Du bist aber heute traurig.
[listbox:title=Mehr zum Thema im Netz[Broschüre zur Beratung suchtkranker Eltern vom Gesamtverband für Suchtkrankenhilfe im Diakonischen Werk der EKD##Suchtberatungsstelle Drachenherz##Blaues Kreuz in Deutschland]]
Die Kinder managen den Haushalt, übernehmen Aufgaben der Eltern oder kümmern sich um ihre Geschwister. "Das ist besonders dann der Fall, wenn die Mutter erkrankt ist", erläutert Stark. Die Eltern werden bei Drachenherz mit einbezogen, mit ihnen finden Gespräche statt. "Wir gehen davon aus, dass die Eltern gute Eltern sein wollen", sagt Stark. Sie mit ins Boot zu holen, gelinge meist gut. Angeboten wird auch eine Familienspieltherapie. So könne beim gemeinsamen Fußballspiel auffallen, dass der Sohn ständig seine Mutter verteidige. "Diese Beobachtung sprechen wir dann hinterher an", sagt Stark. Wichtig für Kinder aus suchtbelasteten Familien sei eine gute und langfristige Beziehung außerhalb ihres unzuverlässigen Elternhauses. Auf den Aufbau einer solchen Beziehung legten die Mitarbeitenden von Drachenherz viel Wert.
Für Carola ist Sucht kein Tabu mehr
Carola suchte und fand Hilfe bei einer Angehörigen-Selbsthilfegruppe des Blauen Kreuz in Deutschland. "Ich kann heute über die Sucht meines Vaters reden", sagt sie. Das gebe sie auch anderen Betroffenen mit auf den Weg: Das Schweigen um die Suchtkrankheit zu brechen und darüber zu sprechen.
*Name von der Redaktion geändert
Der Artikel erschien im Rahmen der Wochenserie der Diakonie zur "Aktionswoche Alkohol".