Anfang Juni startete das Mobilfunk-Hochgeschwindigkeitsnetz namens LTE (Long Term Evolution) in der ersten Großstadt Deutschlands, nämlich in Köln. "Wir freuen uns sehr, dass die Deutsche Telekom mit Köln eine Stadt im bevölkerungsstärksten Bundesland ausgewählt hat, um die neue Technologie einzusetzen", freute sich der nordrhein-westfälische Energieminister Harry Kurt Voigtsberger (SPD). Inzwischen geht es mit dem Ausbau für über 100 Städte im gesamten Bundesgebiet weiter.
Funkmikrofone gehen nicht mehr
Doch es gibt nicht nur Freude über die neue, schnellere Mobilfunk-Technologie. Viele reden derzeit vom Ärger über nicht mehr funktionierende Funkmikrofone: Deren bisherige Frequenzen müssen für die neue Funktechnologie namens LTE weichen. Diese finanziell ärgerlichen Änderungen betreffen insbesondere die Theaterwelt und die Kirchen, die auf solche Mikrofone gesetzt haben.
Und dann sind da auch die gesundheitlich besorgten Mobilfunkkritiker, die sich über den fortgesetzten Netzausbau und die neuen Signalformen von LTE ärgern. So warnte anlässlich des Aufbaus der ersten LTE-Sendeanlagen in ländlichen Regionen die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Diagnose-Funk e.V. vor einer Zunahme des Elektrosmogs und der daraus resultierenden Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt. "Statt Strahlenminimierung, wie vom EU-Parlament gefordert, wird entgegen aller Erkenntnis und Warnung unsere gesamte Lebensumwelt einer erhöhten Strahlenbelastung mit nicht absehbaren Folgen ausgesetzt werden", kritisierte Brigitte Becker, Sprecherin des Diagnose-Funk-Landesverbands Niedersachsen/Bremen.
Doch Alexander Lerchl, Leiter des Ausschusses für "Nichtionisierende Strahlen" bei der Deutschen Strahlenschutzkommission, gab in einem Interview für EMF Spectrum 1/2011 beruhigende Auskünfte: "Die neuen Signalformen des LTE-Standards stellen kein grundsätzliches Problem dar, weil bislang keine Hinweise dafür vorliegen, dass biologische Systeme auf hochfrequente Signale unterschiedlicher Signalformen unterschiedlich reagieren." Allerdings wird Lerchl von Mobilfunk-Kritikern schon länger eine auffällige Nähe zur Industrie attestiert. Und mit Blick auf LTE muss er einräumen: "Es gibt bislang keine speziellen Untersuchungen, weil die Technologie relativ neu ist und Geräte zur Exposition von Zellen oder Tieren nicht verfügbar waren."
Deutschland als Versuchsobjekt?
In Israel haben indessen aus dem ethisch gebotenen Grund der Vorsorge und der Vorsicht im Umgang mit rundum strahlender Technologie die beiden Ministerien für Gesundheit und Umweltschutz dem Kommunikationsministerium mitgeteilt, dass sie den Ausbau der Mobilfunk-Infrastruktur mit dem Ziel der Einführung von LTE-Funk solange ablehnen, bis jegliche Gesundheitsgefahren durch diese Strahlung umfassend untersucht sind.
Wird in Deutschland die Bevölkerung also schlichtweg zum Versuchsobjekt degradiert? Warum redet kaum jemand in Theologie und Kirche von anderen problematischen Folgen der Einführung von LTE als den Mikrofon-Frequenzen? Christen wollen die Schöpfung bewahren und für die Notleidendsten in der Gesellschaft dasein – aber die wenigsten kümmert es bislang, welche Gefahren für Mensch und Natur mit dem ungebremsten Weiterbau der Funknetze drohen.
LTE soll noch schnelleres mobiles Internet, Online-Spiele, Online-Musikhören, die Vernetzung und Überwachung des Autoverkehrs und vieles mehr ermöglichen. Doch Bernd Rainer Müller, Experte für elektromagnetische Strahlung beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, kritisiert: "Die Regierung hat die Risiken durch die Nutzung weiterer Mobilfunk-Frequenzen so gut wie nicht geprüft." Das sei ein Skandal.
Hoher Energieverbrauch
Für die "Energiewende" sprechen sich etliche Kirchenvertreter aus. Aber wer wagt es, darüber zu reden, dass die LTE-Technologie mit ihrer starken Leistung ein ganz enormer Energieverbraucher sein dürfte? Bereits eine Studie der Technischen Universität Chemnitz aus dem Jahr 2007 hatte nachgewiesen, dass die Funknetze in Deutschland prekäre Energiefresser darstellen: Der Fortschritt beim Klimaschutz durch die Solarenergie-Nutzung wurde demnach schon damals vom zunehmenden Ausbau der Netze komplett aufgezehrt – so Josef Lutz, Professor für Leistungselektronik und elektromagnetische Verträglichkeit. Wohin soll da die neue LTE-Technologie führen?
Das Bundesamt für Strahlenschutz hat vor einem Jahr eingeräumt, die Langzeitwirkungen von Mobilfunk-Strahlung seien noch nicht hinreichend untersucht; deren Gefährlichkeit könne keineswegs ausgeschlossen werden. Auch aus der Bundesärztekammer kam eine mahnende Stimme: Andreas D. Kappos wies darauf hin, dass selbst die eher beschwichtigenden Ergebnisse des Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramms von 2008 nicht alle Bedenken bezüglich der Unbedenklichkeit elektromagnetischer Felder ausgeräumt hätten: "Dies betrifft insbesondere die Langzeitwirkungen, deren Bedeutung für die Gesundheit des Menschen aus methodischen Gründen zurzeit epidemiologisch nicht abzuklären ist."
Kürzlich wurde eine Langzeitstudie veröffentlicht, die neuerlich bestätigt, dass Anlass zur Besorgnis besteht. So zeigte sich bei den 60 Teilnehmern nach Installation einer örtlichen Mobilfunksendeanlage im bayerischen Rimbach ein signifikanter Anstieg der Werte bestimmter Stresshormone in den ersten Monaten nach dem Einschalten des GSM-Senders; der Ausgangszustand wurde auch nach anderthalb Jahren nicht wiederhergestellt. Damit lagen deutliche Hinweise auf eine nicht regulierbare chronische Schieflage des Stresshaushalts vor, so die Autoren der Studie, Klaus Buchner und Horst Eger. Die chronischen Fehlregulationen seien "von erheblicher gesundheitlicher Relevanz und führen erfahrungsgemäß langfristig zu Gesundheitsschäden".
Begeistert gefeiert
Der Start von LTE in der ersten Großstadt Deutschlands wurde begeistert gefeiert. Doch es gibt auch eine umgekehrte Perspektive. Bekanntlich liefert selbst die Presse oft nur "eine Berichterstattung, die geprägt ist von der Nähe und Kooperation mit Wirtschaft und Verbänden statt durch Vorsicht und Abstand" – so Albrecht Müller 2010 in seinem Bestseller "Meinungsmache". Umso mehr sollten sich Theologie und Kirche deutlicher als bisher für eine angemessene Vorsorge, für einen umfassenden Dialog über die Mobilfunk-Problematik und für den längst fälligen Schutz der kontinuierlich wachsenden Minderheit Elektrosensibler einsetzen.
Prof. Dr. Werner Thiede ist Pfarrer der bayerischen Landeskirche und lehrt seit 2000 außerplanmäßig Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Seit 2006 arbeitet er als theologischer Referent beim Regionalbischof im Kirchenkreis Regensburg. Thiede ist Verfasser und Herausgeber etlicher Bücher, darunter "Der gekreuzigte Sinn. Eine trinitarische Theodizee" (Gütersloh 2007) und "Mystik im Christentum. 30 Beispiele, wie Menschen Gott begegnet sind" (Frankfurt a.M. 2009).