Johannes-Offenbarung: Ein Zeitplan für die Endzeit?
Was genau wird am Weltende passieren? Fundamentalistische Christen in Amerika glauben, dass die Johannes-Offenbarung eine Zeitplan beschreibt, wie Gottes Reich auf der Erde Gestalt gewinnt. Zu diesen sogenannten Dispensionalisten gehört auch der Radioprediger Harold Camping, der den Beginn der Endzeit für vergangenen Samstag berechnet hat. Er lag aber falsch.
24.05.2011
Von Ralf Peter Reimann

Für Camping hätte am 21. Mai die Endzeit mit der Entrückung der Gläubigen begonnen. Die Entrückung hätte dann – nach dem Glaubensverständnis von Camping - einen Ablauf von Ereignissen in Bewegung gesetzt, der zunächst zu einer Zeit der Drangsal für alle anderen Menschen geführt hätte. Darauf wäre die Wiederkunft Christi gefolgt, dann wäre ein tausendjährigen Reich auf Erden errichtet worden, und am Ende wäre es zum Jüngsten Gericht gekommen.

Endzeitliches Bibelverständnis in USA weit verbreitet

Der Dispensationalismus, dem Harold Camping anhängt, ist ein in den USA unter Evangelikalen und Fundamentalisten stark verbreitetes Glaubens- und Bibelverständnis.Grundlegend ist die Sicht, dass Gottes Geschichte mit der Menschheit sich in verschiedenen Epochen vollzieht und es für jedes Zeitalter der Heilsgeschichte bestimmte "Dispensationen", also "Haushaltungen" beziehungsweise Gnadenerweise Gottes gibt. Für Dispensationalisten ist daher bei der Auslegung der Bibel die heilsgeschichtliche Stellung eines Bibelabschnitts von entscheidender Bedeutung.

Die Vorstellung, dass die Heilsgeschichte in Epochen verläuft, kennen auch die Kirchenväter. Besonders bekannt ist die Gliederung der Geschichte in sieben Weltzeitalter bei Augustinus.

[listbox:title=Mehr zur Scofield Bibel[Anmerkungen zur Offenbarung (auf Englisch)]]

Der neuzeitliche Dispensationalismus geht auf John Nelson Darby (1800–1882) zurück. Er war ursprünglich ein Pfarrer der anglikanischen Staatskirche in Irland, wandte sich aber dann der Brüder-Bewegung, den Plymouth Brethren, zu. Das Buch der Offenbarung – auch Apokalypse des Johannes genannt – gibt den Dispensationalisten einen Plan für den zeitlichen Ablauf der Endzeit. Durch eine intensive Reisetätigkeit in den USA wurden Darbys Ideen bekannt. Sie verbreiteten sich besonders durch die Studienbibel von Cyrus Ingerson Scofield, die heute noch unter dem Namen "Scofield Bible" zu den am weitesten verbreiteten Studienbibeln in den USA gehört. In ihren Anmerkungen wird Darbys Dispensationalismus weiterentwickelt und systematisiert.

Tausendjähriges Reich auf Erden

Der Dispensationalismus ist eine besondere Form des Millennialismus. Dem Namen liegt der lateinische Begriff für 1.000 Jahre – millennium – zugrunde. Der christliche Millennialismus beruft sich auf die aus der Offenbarung des Johannes stammenden Vorstellung, dass Jesus Christus am Beginn der Endzeit ein tausendjähriges Reich errichten wird (Offenbarung 20,1-6). Anhänger des Millennialismus nehmen an, dass die Johannes-Offenbarung wörtlich zu verstehen ist und dass das tausendjährige Reich von Jesus Christus selbst auf der Erde erreichtet wird, bevor die Welt vergeht. In der Alten Kirche wurde diese Glaubensansicht im Laufe der Zeit als Chiliasmus verdammt, obwohl Kirchenväter wie Tertullian diesen Lehren anhingen.

Je nach Bibelauslegung ergibt sich eine zeitlich etwas andere Abfolge der Endzeit beim neuzeitlichen  Millennialismus. Im Prämillennialismus geht man davon aus, die Wiederkunft Christi vor ("prä") dem tausendjährigen Reich erfolgt. Dies bestreiten der Post- und der Amillennialismus, die die Wiederkunft Christi nach dem tausendjährigen Reich beziehungsweise losgeslöst von ihm sehen. Für die Dispensationalisten – sie hängen einer besonderen Form des Prämillennialismus an -  ergibt sich daher diese Abfolge der Endzeit: Entrückung der Gläubigen, Zeit der Drangsal, Wiederkunft Christi, tausendjähriges Reich und Jüngstes Gericht – dann erst ist die Endzeit zu Ende.

 

Prämillennialismus

Jesu Verkündigung, Kreuz und Auferstehung

 

Drangsal

Wiederkunft Christi

Millennium

Jüngstes Gericht

Prämillennialismus

Dispensationalis­mus

Jesu Verkündigung, Kreuz und Auferstehung

Entrückung

Drangsal

Wiederkunft Christi

Millennium

Jüngstes Gericht

Postmillennialis­mus

Jesu Verkündigung, Kreuz und Auferstehung

 

Millennium

Wiederkunft Christi
Jüngstes Gericht

Amillennialismus

Jesu Verkündigung, Kreuz und Auferstehung

Millenium

Wiederkunft Christi
Jüngstes Gericht

 

 

 

Die lutherischen und reformierten Kirchen, aber auch die katholische Kirche, lehnen die Vorstellung eines tausendjährigen Reiches auf Erden ab. Beispielsweise heißt es in Artikel 17 der lutherischen Augsburger Konfession: "Jesus Christus kommt wieder und alle Menschen werden auferstehen, damit er sie richten kann. Als Irrlehre wird verdammt … die Vorstellung eines irdischen Reiches der Gläubigen vor der Wiederkunft Christi."

Einen konkreten Fahrplan für die Endzeit gibt es daher in lutherischer, reformierter und katholischer Theologie nicht. 


Ralf Peter Reimann ist Pfarrer und Theologe. Er arbeitet bei evangelisch.de.