Selbsthilfegruppen: Den Ausstieg aus der Alkoholsucht gemeinsam schaffen
Wie viele Biere er als Jugendlicher pro Tag trank – da muss Andreas Bosch erst einmal nachdenken. Er ist einer der jüngsten, als er mit 21 eine Selbsthilfegruppe aufsucht - und den Weg aus der Abhängigkeit vom Alkohol schafft. Heute engagiert sich der 45-Jährige im Bundesvorstand der Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe, einem der drei diakonischen Sucht-Selbsthilfeverbände. Um seine Geschichte geht es heute in der Wochenserie der Diakonie zur Aktionswoche Alkohol.
24.05.2011
Von Jacqueline Engelke

Mit gerade 18 Jahren brauchte Andreas Bosch morgens zwei bis drei Weizenbier, um überhaupt in Schwung zu kommen. Längst war er einer von 1,3 Millionen Alkoholabhängigen in Deutschland. Damals hätte er das jedoch nie zugegeben. Leugnen und Lügen gehören zur Krankheit.

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Als 14-Jähriger fing er mit dem Trinken an. „Das war nicht außergewöhnlich. Bei uns in der ländlichen Gegend gehörte das Bier einfach dazu“, sagt Andreas Bosch. Aus einigen Weizenbieren wurden immer mehr. Während seiner Ausbildung zum Maschinenschlosser in Nürnberg fiel sein Konsum langsam auf. Sein Lehrausbilder sprach ihn an. „Echte Konsequenzen hatte das nicht. Die zogen mich durch“, schildert Andreas Bosch in ausgeprägtem fränkischen Dialekt. Mit dem Ende seiner Ausbildung hörte er in dem Betrieb auf. „Die waren bestimmt froh, als sie mich los waren“, sagt er heute und lacht sein jungenhaftes Lachen.

„Die Sucht holt dich ein“

Eine neue Stelle, ein neuer Anfang, dachte er. Jedoch: „Die Sucht holt dich ein.“ Innerlich getrieben von der Angst, sein Alkoholkonsum könne auch hier entdeckt werden, wechselte er nach anderthalb Jahren wieder die Stelle. „Ich bin geflohen, wie immer.“

Wie es zur Wende kam? Die Sucht hatte ihn an den Punkt gebracht, an dem es keine Ausreden mehr gibt: „Man muss entscheiden, welche Angst schlimmer ist: Die aufzufallen oder die, die Sucht nicht mehr zu befriedigen. Entweder säuft man sich in die Kiste oder man wagt den Ausstieg.“

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Mit gerade mal 21 Jahren fand Andreas Bosch eine Beratungsstelle und führte dort regelmäßige Gespräche. In der anschließenden Therapie in einer Fachklinik standen erstmals Auseinandersetzungen mit seiner Vergangenheit an. Es galt, das eigene Leben wieder in den Griff bekommen – und das ohne Alkohol, der doch bisher sein ganzes Leben bestimmt hatte. In der Klinik legten sie ihrem Klienten ans Herz, sich nach der Therapie eine Selbsthilfe-Gruppe zu suchen.

Selbsthilfegruppe: gemeinsam neue Perspektiven

Der Diakonie sind bundesweit drei Sucht-Selbsthilfeverbände angeschlossen. In den 2.400 Gruppen machen rund 37.000 Menschen mit, ob Suchtkranke, Suchtgefährdete oder Angehörige. Andreas Bosch (Bild links; Foto: privat) fand damals die Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe, die gerade eine neue Gruppe gegründet hatten. Er gestaltete sie mit. Alle begannen am gleichen Punkt – das half, Alterunterschiede vergessen zu machen. Denn mit 21 Jahren war er einer der Jüngsten in der Gruppe. Er traf Menschen, die schon ein oder zwei Jahre abstinent lebten. „Das zeigte mir, es geht.“

Er suchte Perspektiven und Orientierung. In der Gruppe wurde er fündig. „Ich habe Glück gehabt, die richtigen Menschen zu finden“, sagt er offen. Denn schon so früh den Ausstieg zu schaffen, ist ungewöhnlich. Er begegnete Menschen, die ihn ermutigten, auf seinem Weg zur Abstinenz zu bleiben. Er traf zum Beispiel den 70-jährigen Paul. „Es kommt nicht auf das Alter an, sondern darauf, was die Menschen einer Selbsthilfe-Gruppe an menschlicher Reife zu bieten haben“, sagt Bosch heute.

Verantwortung für sein Leben übernehmen

Nach und nach gewann Andreas Bosch an Selbstvertrauen. Die offenen Gespräche in der Gruppe gefielen ihm und halfen ihm, die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Hier trafen sich Menschen, die alle wussten, was Sucht bedeutet. Er konnte sich einbringen und fühlte sich angenommen. Persönliche Wertschätzung und Menschen, die zuhörten, waren für ihn wichtig. Andreas Bosch erlebte, wie schön das Leben ist – ohne Suchtmittel und mit der Entscheidung für eine zufriedene Abstinenz.

In der Abendschule machte der heutige technische Geschäftsführer seinen Maschinenbautechniker. Inzwischen ist er 45 und engagiert sich im Bundesvorstand der Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe, einem der drei diakonischen Sucht-Selbsthilfeverbände. Er will Selbsthilfe mitgestalten. So, wie er heute sein Leben selbst gestaltet.


Der Artikel erschien im Rahmen der Wochenserie der Diakonie zur "Aktionswoche Alkohol".