Auf einen Joint mit den Beatles - Bob Dylan wird siebzig
Bereits in jungen Jahren hat er den Maler Pablo Picasso als Vorbild entdeckt. "Er war ein Revolutionär. Ich wollte auch so werden", schreibt Bob Dylan in der Autobiografie "Chronicles". Seine frühen Stücke "Blowin' in the Wind" und "The Times They are A-Changin" von 1963 wurden zu Hymnen der Antikriegs- und Bürgerrechtsbewegung. Aber Dylan wollte weiter. In seiner über 50-jährigen Karriere hat er immer wieder Grenzen gesprengt und die Rockmusik revolutioniert. An diesem Dienstag wird der amerikanische Musiker und Songpoet 70 Jahre alt.
23.05.2011
Von Holger Spierig

Elvis habe den Körper befreit, Bob Dylan den Geist, hat der Rockmusiker Bruce Springsteen einmal gesagt. In seinen Songs verrührt Dylan die Dichtkunst Arthur Rimbauds, Bert Brechts und des Beatpoeten Jack Kerouacs - und schmeckt sie mit Weisheiten der Bibel ab. Musikalisch sieht sich Dylan in der Tradition des Folksängers Woody Guthrie, er greift aber ebenso auf den Blues, die Countrymusik oder den Rock 'n' Roll zurück. Für seine "lyrischen Kompositionen von außerordentlicher poetischer Ausdruckskraft" erhielt er im Jahr 2008 den Pulitzer-Preis.

John Lennon von Bob Dylan "besessen"

"Er hat den Pop erwachsen gemacht, er hat ihm Verstand gegeben", urteilt der britische Musikjournalist Nik Cohn. Bei einem Besuch der Beatles im August 1964 in einem New Yorker Hotel bringt Dylan die britischen Kollegen nicht nur mit seinen Joints auf den Geschmack von Marihuana. Die Platten Dylans, die die Beatles rauf und runter hören, eröffnen John Lennon einen neuen Zugang zur Arbeit an seinen eigenen Songs, ist der Lennon-Biograf Philip Norman überzeugt. So zeige das Beatles-Album "Help" von 1965 einen Lennon, "der von Bob Dylan nicht nur beeinflusst, sondern geradezu besessen ist".

Dylan plant in dieser Zeit bereits seine erste provokante Grenzüberschreitung. Angriffslustig mit E-Gitarre und schwarzer Lederjacke steht er 1965 auf der Bühne des traditionellen Folkfestivals in Newport. Die surrealen Wortkaskaden seines entfesselten Rockgewitters haben überhaupt nichts mehr mit den vertrauten Protestsongs gemein. "Verräter!" schleudert ihm ein aufgebrachtes Publikum entgegen.

Doch der als Rockstar wiedergeborene Dylan wird bald als Visionär gefeiert. Das Musikmagazin "Rolling Stone" kürte sein sechsminütiges "Like A Rolling Stone" unter 500 Stücken zum "Größten Song aller Zeiten": Kaum ein anderes Popstück habe je die geltenden kommerziellen und künstlerischen Regeln seiner Zeit so massiv torpediert und für immer über den Haufen geworfen.

Aus einer Zeitungsnotiz entstand im Handumdrehen ein Song

Schon mit seinen frühen Auftritten Anfang der 60er Jahre in den Kaffeehäusern des New Yorker Künstlerviertels Greenwich Village erregt er Aufmerksamkeit. "Dylan wird vielleicht mal der genialste Songwriter unseres Landes, wenn er nicht vorher explodiert", prophezeit Anfang der 60er Jahre Pete Seeger, der Grandseigneur der politischen Folkmusik. Während sich die übrigen Folksänger darauf beschränken, traditionelles Liedgut wiederzuentdecken, kann Dylan aus einer Zeitungsnotiz im Handumdrehen einen Song schreiben.

Entgegen den von ihm selbst verbreiteten Mythen ist Dylan allerdings kein fahrender Sänger, sondern wächst in einer Mittelschichtsfamilie in Hibbing/Minnesota auf. Zur Welt kam er am 24. Mai 1941 in Duluth/Minnesota als Robert Allen Zimmerman. Sein Künstlername ist wohl eine Verneigung vor dem walisischen Dichter Dylan Thomas.

Seit seinem Skandal-Auftritt in Newport hat Dylan immer wieder neue Wege beschritten und viel Kritik einstecken müssen. "Wann immer die Nachfolgenden ihn erreicht zu haben glauben, ist er schon anderswo", schreibt der Göttinger Literaturprofessor Heinrich Detering in seiner aktualisierten Dylan-Biografie ("Bob Dylan", Reclam).

Dylan war Jude und konvertierte zum Christentum

Als die Jugend Amerikas Ende der 60er Jahre gegen den Vietnamkrieg auf die Straße geht, hat sich Dylan schon wieder von seiner Rolle als Rockstar verabschiedet. Stattdessen preist der Familienvater in Countrysongs die Freuden des einfachen Lebens. Ende der 70er Jahre konvertiert der jüdisch aufgewachsene Musiker zum Christentum, macht einige Jahre lang Gospel-Rock mit christlich-fundamentalistisch eingefärbten Texten. Erneut wenden sich viele Anhänger ab.

Auf seinen über 100 Konzerten pro Jahr spielt der in Würde ergraute Sänger heute eine dylan-typische Melange aus Blues, Countryswing und Rockmusik. In diesem Frühjahr trat er gar in Peking auf, was ihm wieder harsche Kritik seiner Anhänger einbrachte. Denn auf seine Protestsongs wie "The Times They Are A-Changin" verzichtete Dylan in China.

Vereinnahmungen, egal von welcher Seite, hat er sich jedoch immer konsequent verweigert. Ein Protestsänger sei er nie gewesen, behauptet er in den "Chronicles". "Ich war immer nur ein Folkmusiker, der mit tränenblinden Augen in den grauen Nebel hinausblickt und sich Songs ausdenkt, die im leuchtenden Dunst dahintreiben".

epd