Welche Bedeutung hat der Kirchentag für die Gesellschaft, oder ist er vielmehr ein kircheninternes Treffen?
Jochen Bohl: Der Kirchentag ist ein Tag der Kirche, und das Programm wird von Christen gemacht. Aber die Geschichte des Kirchentags zeigt, dass er die Funktion einer Zeitansage wahrnimmt. Es sind auch immer wieder Impulse für die Gesellschaft gegeben worden. Ich erinnere an die sächsischen Kirchentage unter DDR-Bedingungen in Dresden 1983 und Leipzig 1989. Das waren Treffen mit Tiefenwirkung. Im Übrigen kommen Politiker auch gerne zum Kirchentag, weil sie dort hören, was ein wichtiger Teil der Gesellschaft denkt. Außerdem möchten sie ihre Sichtweisen an ein aufgeschlossenes Publikum bringen. So große Foren gibt es für Politiker eigentlich nur selten.
Zum 33. Deutschen Evangelischen Kirchentag wurde nach Dresden eingeladen, wo Christen deutlich in der Minderheit sind. Besteht das Risiko, auf Ignoranz oder Abneigung zu stoßen?
Bohl: Im Moment ist der Eindruck so, dass der Kirchentag für die gesamte Region zu einer identifikationsfördernden Veranstaltung wird. In der Vorbereitung ist es ja so, dass nicht nur Christen zusammenarbeiten. Auch von vielen anderen Kooperationspartnern hören wir große Zustimmung und Bereitschaft mitzuarbeiten. Sehr viele Nichtchristen haben ja Quartiere zur Verfügung gestellt. Es läuft alles besser, als ich mir erhofft hatte. Von Ignoranz kann keine Rede sein, im Gegenteil.
Es gab ja eine rege Diskussion über die Finanzierung des Kirchentags teils aus öffentlichen Haushalten?
Bohl: Eine rege Diskussion war das nicht, höchstens eine kurze. Ich bin mir sicher, dass das Minderheitsmeinungen gewesen sind, sowohl was die Politik betrifft als auch die Bevölkerung. Ich möchte aber zum Vergleich darauf hinweisen, dass die Stadt Düsseldorf für den Eurovision Song Contest zehn Millionen Euro aufwendet, die Stadt Dresden für fünf Tage Kirchentag zwei Millionen. Im Übrigen hat es bei den parlamentarischen Beratungen zur Beteiligung des Freistaats und der Landeshauptstadt große Einmütigkeit gegeben.
Der Beitrag der Landeskirche mit einer Million Euro scheint gemessen am Kirchentags-Gesamthaushalt von 14 Millionen nicht so groß?
Bohl: Finde ich nicht. Unser Kostenbeitrag steht in einem angemessenen und ausgewogenen Verhältnis. Der Freistaat beteiligt sich zwar mit einer größeren Summe und auch die Landeshauptstadt. Aber weit über 100.000 Dauerteilnehmer bringen ja sehr viel Geld in die Region. Die Stadt Leipzig hat 1997 eine Untersuchung angestellt. Seitdem kann als nachgewiesen gelten, dass der wirtschaftliche Effekt für die Fördermittelgeber positiv ist. Das wird auch in Dresden so sein.
Ist das in einer 640-seitigen Broschüre aufgelistete Programm nicht überfrachtet?
Bohl: Das Durchblättern des Programms reicht nicht. Man muss sich schon auf die innere Struktur des Kirchentags einlassen, also alle Themenfelder angucken und dann auswählen. Man kann sich sehr individuell den eigenen Kirchentag zusammenstellen. Außerdem gibt es ein großes Interesse verschiedener Anbieter, sich an der Programmgestaltung zu beteiligen. Die Veranstaltungen zeigen, wie sehr die Kirche in die Breite wirkt, aber auch wie vielgestaltig das kirchliche Leben ist.
Das Programm ist oft sehr anspruchsvoll und auch speziell, gibt es auch ausreichend Angebote für weniger gebildete Besucher?
Bohl: Absolut. Es gibt ja verschiedene Zentren, wo Angebote für jedes Anspruchsniveau besucht werden können. Es ist für jeden etwas dabei. Dazu zählen vor allem auch die vielen Kulturveranstaltungen. Kirchentag will ein breites Angebot machen. Ich glaube, das gelingt auch sehr gut. Aber in der Frage liegt auch eine Wahrheit. Es gibt keine andere vergleichbare Veranstaltung in Deutschland und Europa, bei der mit solch einer Ernsthaftigkeit und Genauigkeit die Fragen der Zeit diskutiert werden.
Was ist besonders sächsisch am Kirchentag?
Bohl: Zum Beispiel in den Projektleitungen, wo die verschiedenen Veranstaltungen vorbereitet werden, arbeiten 180 Sachsen mit. Am Programm sind 12.000 Sachsen beteiligt, und zur Eröffnung am Abend der Begegnung bieten 350 einheimische Gemeindegruppen Verpflegungs- und Programmstände an. Ich hatte auf eine reiche Beteiligung gehofft. Das ist in einer Weise eingetreten, über die ich mich nur freuen kann.
Dresden nimmt eine Randlage in Deutschland ein. Wird der Blick nach Osteuropa das Profil des Kirchentags prägen?
Bohl: Es gibt ein Zentrum Mittel- und Osteuropa. Dort kommen mehrere tausend evangelische Christen aus unseren Nachbarländern zusammen, darunter aus Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Slowenien und den baltischen Staaten. Das ist erstmals bei einem Kirchentag der Fall. Wir haben diese Treffen in den vergangenen Jahren forciert, zum Beispiel bei Begegnungstagen in Bratislava und Prag. Insofern ist das jetzt ein Gegenbesuch innerhalb einer regelmäßigen Kooperation.
Welche Rolle wird die Atomkatastrophe von Fukushima bei den Diskussionen auf dem Kirchentag spielen?
Bohl: In der Kirche gab es immer schon eine breite Mehrheit in der Ablehnung der Atomenergie. Sehr viele werden sich bestätigt fühlen. Da die Politik sich nun um einen großen Konsens bemüht, könnte ich mir vorstellen, dass die Kernenergie eine gewisse Rolle spielen wird. Aber da ich davon ausgehe, dass die Entscheidung zum Ausstieg bereits gefallen ist, wird es sicherlich nicht das zentrale Thema sein. Es wird eher auf einer geistlichen Ebene im Sinne der Klage und Solidarität mit Japan eine Rolle spielen.