Gedanken zur Woche: Gleiches Recht für alle
Gedanken zur Woche im Deutschlandfunk: Diesmal von Pfarrer Jörg Machel aus Berlin über den "Retter des Euros" Dominique Strauss-Kahn, "Gleiches Recht für alle" und die Gebote Gottes.
20.05.2011
Von Jörg Machel

In Handschellen wird der Vorsitzende des Internationalen Währungsfonds (IWF) Dominique Strauss-Kahn dem Haftrichter vorgeführt und weltweit diskutieren die Menschen diesen Fall. So befremdlich der Anblick dieses Gefangenen wirkt, den man normalerweise als "Retter des Euro" präsentiert bekommt, so wohltuend empfinde ich die Tatsache, dass für einen der mächtigsten Männer der Welt das gleiche Recht gilt wie für jeden anderen Bürger auch.

In vielen Ländern der Welt beanspruchen die Herrschenden für sich, dass sie nach anderen Regeln behandelt werden als das gemeine Volk. In Indien gelten die finanziell attraktiven Jobs in arabischen Ländern als hochgefährlich für junge Frauen. Es hat sich nämlich herumgesprochen, dass sie gegenüber den Arbeitgebern der Oberschicht nur geringen juristischen Schutz genießen.

Selbst die Schweiz sah sich dem erpresserischen Druck Libyens ausgesetzt, als ein Sohn des Diktators Gaddafi in Untersuchungshaft saß, weil er seine Hausangestellten misshandelt haben sollte.

Die Gebote Gottes gelten für alle Menschen

Die Grundidee, dass die Gebote Gottes für alle Menschen gelten, ist bereits im Alten Testament nachzulesen und zieht einen Schlussstrich unter die Anmaßungen eines jeden „Gottkönigtums“, bei dem sich der Herrscher jeglicher Verantwortung entziehen kann.

So wie es der große König David in der Bibel schon versucht hat. Er stellt der schönen Batseba nach, die mit einem seiner Offiziere verheiratet ist. Als sich herausstellt, dass David Batseba geschwängert hat, lässt er ihren Mann vom Feldzug nach Hause beordern, um ihm das Kind als Folge dieses Heimaturlaubs unterzuschieben. Doch dieser Plan misslingt, und so entschließt sich David, seinen Offizier bei einem Kriegseinsatz zu opfern. Trotz all seiner Macht kann König David nicht verhindern, dass diese Tat öffentlich wird. Als sich König David darüber empört, dass ein reicher Mann einen armen Mann um dessen einzigen Besitz betrogen hatte, beschuldigt ihn der Prophet Natan: "Du, David, Du bist der Mann!" – Du hast genau das Gleiche getan, wie dieser Betrüger, schleudert er dem König entgegen. Daraufhin sieht sich David gezwungen, Buße zu tun.

Die Gesetze Gottes gelten für jedermann, egal ob Herr oder Knecht, das will die Geschichte sagen, und so soll sie auch weitererzählt werden in den Hütten und in den Palästen.

Bis zur Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung

In dieser Tradition stehend muss es selbstverständlich sein, dass sich auch ein einflussreicher Mann wie Dominique Strauss-Kahn unter das geltende Recht stellen muss. Und selbstverständlich gilt bis zu seiner Verurteilung die Unschuldsvermutung. Deshalb kann ich die Empörung eines Teils der französischen Öffentlichkeit verstehen, die es Ruf schädigend findet, einen ihrer populärsten Politiker schon jetzt so vorgeführt zu sehen.

Da es schwer ist, über Vorgänge hinter verschlossenen Türen zu urteilen, lässt sich mit der Ungewissheit über Wahrheit und Lüge wunderbar spekulieren. Im Windschatten solcher Debatten können Interessen lanciert werden, für die es am Ende fast nebensächlich ist, wie das Verfahren ausgeht.

Auch wenn das gleiche Recht für alle gilt, so gilt es doch nie für alle gleich. David kam am Ende recht glimpflich davon. Nachdem der Erstgeborene aus der Beziehung mit Batseba starb, bekam das Paar einen weiteren Sohn, den wir unter dem großen Namen „König Salomo“ kennen und schätzen. Alles gut also? – Nicht ganz, die Schande konnte König David nicht vertuschen. Sie steht in der Bibel, sie haftet ihm an, bis auf den heutigen Tag.


Jörg Machel ist Pfarrer in Berlin. Bei dem vorstehenden Text handelt es sich um die "Gedanken zur Woche", die der Deutschlandfunk am Freitagmorgen, 20. Mai, gesendet hat.