Obama preist Revolution und kritisiert Israel
Seit sechs Monaten herrscht der "arabische Frühling" mit Revolutionen in der Region, seit fast drei Wochen ist der Terroristenführer Osama bin Laden Geschichte. Anlass für US-Präsident Obama, seine Nahost-Politik neu zu justieren.

Nach den massiven Umwälzungen in der arabischen Welt hat US-Präsident Barack Obama die Demokratiebewegung gepriesen und zugleich Gewaltherrscher und Terroristen scharf angegriffen. Der historische Wandel solle nun mit amerikanischen Wirtschaftshilfen in Milliardenhöhe sowie einem erneuten Anlauf für den Frieden in Nahost gesichert werden, sagte Obama am Donnerstag in einer langerwarteten außenpolitischen Grundsatzrede in Washington. Dort die universellen Menschenrechte zu sichern sei die "Top-Priorität" seiner Politik.

Die Menschen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika hätten ihre Zukunft in die eigenen Hände genommen. Er verglich den "arabischen Frühling" mit der amerikanischen Revolution. Sie sei längst überfällig gewesen. "Durch die moralische Kraft der Gewaltlosigkeit hat die Bevölkerung in der Region mehr Wandel in sechs Monaten erreicht als Terroristen in Jahrzehnten", sagte er.

Gleichzeitig rief er die Menschen zu Geduld auf: "Es wird Jahre dauern, bis diese Geschichte zu Ende geht. Auf dem Weg dorthin wird es gute Tage geben und schlechte Tage".

Frieden in Nahost in den Grenzen von 1967?

An die Adresse Israels und der Palästinenser gewandt sagte Obama, dass ein andauernder Frieden nun wichtiger sei als jemals zuvor. Er machte deutlich, dass die USA weiter für eine Zwei-Staaten-Lösung plädieren, mit einem in sicheren Grenzen lebenden Israel und einem existenzfähigen Palästina.

Zur strittigen Grenzfrage sagte Obama: "Die Grenzen von Israel und Palästina sollten auf den Linien von 1967 basieren, mit einem Austausch, auf den sich beide Seiten verständigen, so dass für beide Staaten sichere und anerkannte Grenzen etabliert werden".

US-Medien interpretierten dies so, dass er sich erstmals öffentlich dafür ausgesprochen habe, die Verhandlungen auf Grundlage der Grenzen vor dem Sechstagekrieg im Juni 1967 zu führen. Diese Ausgangsposition für Verhandlungen anzusetzen entspreche der Kernforderung der Palästinenser, schrieb die "New York Times" im Anschluss an die Rede. Dies könnte ihre zu den seit Ende September auf Eis liegenden Gesprächen ermöglichen.

Der Verweis auf die Grenzen vor dem Sechstagekrieg 1967 war vor allem ein Signal an die Israelis, dass Obama Konzessionen erwartet, hieß es. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu - der am Freitag im Weißen Haus empfangen wird - lehnt ein solches Zugeständnis strikt ab. Israel wäre dann nicht mehr zu verteidigen, meint er. Israel hatte im Sechstagekrieg weite Teile des Westjordanlandes und der Golanhöhen besetzt.

Eine "einzigartige Chance" für den Nahen Osten

In drei weiteren wichtigen Punkten unterstützte Obama jedoch die Position Israels. Obama verlangte von Israel nicht ausdrücklich eine Baustopp in den Siedlungen. Außerdem forderte er die Palästinenser auf, einseitige Schritte zu unterlassen. "Symbolische Aktionen, um Israel im September in den Vereinten Nationen zu isolieren, werden keinen unabhängigen Staat schaffen", sagte Obama.

Die Palästinenserführung wollte im September die UN-Generalversammlung bitten, einen unabhängigen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 mit einer Hauptstadt Ostjerusalem anzuerkennen. Der US-Präsident unterstützte weiterhin die israelische Position, wonach in den Friedensverhandlungen zuerst über Grenzen und Sicherheit für Israel gesprochen werden sollte.

Zum Wandel in Nahost und in Nordafrika sagte der Präsident, dieser biete eine "einzigartige Chance". Obama hob das große politische Interesse der USA hervor, den demokratischen Wandel in der gesamten Region zu unterstützen. Die universellen Menschenrechte in den Ländern zu stützen sei nicht nebensächlich, sondern für die USA die Hauptsache. Das gelte insbesondere für Länder, wo politische Umbrüche noch ausstünden.

Demokratie und Wirtschaft gehen zusammen

Obama kündigte umfassende Wirtschaftshilfen des Westens für die Region, zunächst vor allem Ägypten und Tunesien, an. Allein Ägypten erhalte eine Milliarde Dollar Schuldenerlass und eine Kreditsicherung in gleicher Höhe. "Auch wenn wir für politische Reformen und Menschenrechte in der Region werben, können wir es bei unseren Bemühungen nicht damit bewenden lassen", sagte Obama. "So liegt der zweite Weg in der Förderung wirtschaftlicher Entwicklung für Nationen im Übergang zur Demokratie." Auch der G8-Gipfel nächste Woche in Frankreich müsse Initiativen auf den Weg bringen.

Dann ist da noch der "Bin-Laden-Faktor". "Bin Laden war kein Märtyrer. Er war ein Massenmörder", sagte Obama nicht ohne Genugtuung in der Stimme. Beinahe siegestrunken waren Regierung und Amerikaner, als der Tod des Al-Kaida-Terrorchefs verkündet wurde. Jetzt will Obama die "Bin-Laden-Dividende" einfahren. Er hofft, dass Al Kaida schwer angeschlagen ist, dass sich Sympathisanten absetzen, dass die Demokratiebewegung zugleich eine Niederlage für den islamischen Fundamentalismus bedeutet. Zugleich forderte Obama praktisch den Rücktritt des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Entweder Assad leite den Wandel in seinem Land oder er müsse zur Seite treten.

Ironie der Geschichte: Just am Tag der Obama-Rede meldete sich auch Bin Laden zu Wort - sozusagen "aus dem Grab". In einem Tonband mit (angeblichen) Äußerungen, die er vor seinem Tod machte, versucht der Terrorchef den "arabischen Frühling" für sich zu vereinnahmen. "Ich denke, der Wind des Wandels wird über die gesamte islamische Welt hinwegfegen, so Gott will."

dpa