Es ist kalt, bitterkalt. Dennoch spaziert der Mann durch einen Park in seiner Stadt. Er setzt sich auf eine Bank und blickt entspannt in die Landschaft. Zur gleichen Zeit schlendert ein anderer Mann vermeintlich ziellos durch die Anlage, erblickt jene Bank und setzt sich dazu. Schweigend beobachten sie das Treiben, die vorbeigehenden Menschen und ab und an wechseln sie ein paar Worte. Eigentlich keine ungewöhnliche Situation, wären die Männer nicht zwei Christen in Nordkorea, die auf diese Art Weihnachten feiern. Niemand darf wissen, dass sie Christen sind. In einem unbeobachteten Moment tauschen sie Bibelverse oder Gebetsanliegen aus und ziehen dann still, aber ermutigt weiter.
So beschreibt das Hilfswerk für verfolgte Christen "Open Doors", auf das sich auch Amnesty International beruft, ein heimliches Treffen von Christen in einem der größten Christenverfolgerstaaten der Welt. Doch obwohl das Regime von Kim Jong Il alles unternimmt, Christen auszurotten, gibt es im Untergrund schätzungsweise 400.000, die ihren Glauben heimlich leben. Es könnten möglicherweise noch mehr sein. Und sie finden durchaus kreative Wege der Gemeinschaft mit anderen Christen.
1991 hat Nordkorea die Menschenrechts- und Religionsfreiheits-Erklärung der UNO unterschrieben. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) schreibt: "Nach einem Bericht der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit von April 2008 werden in Nordkorea Sicherheits- und Geheimdienstmitarbeiter theologisch geschult und angewiesen, sich als Christen auszugeben, um sich Zugang zu Gebetsversammlungen im Untergrund zu verschaffen." Und das nur, um sie anschließend gefangen zu nehmen oder sie zu töten.
Nordkorea ist das schlimmste Land für Christen
Im Open Doors-Weltverfolgungsindex 2011, einer jährlich veröffentlichten Rangliste von Ländern, in denen Christen weltweit am stärksten verfolgt werden, belegt Nordkorea schon seit neun Jahren den ersten Platz. Open Doors-Pressereferentin Romy Schneider: "Mit unverminderter Härte geht das Regime gegen die Untergrundgemeinde vor. Christen haben in Nordkorea keinerlei Existenzberechtigung. Gläubige, die sich nur heimlich und zu wenigen im Untergrund versammeln können, stehen immer in der Gefahr, entdeckt zu werden. Ihnen droht Gefängnis, Arbeitslager oder die Hinrichtung." Auf der Webseite von Open Doors heißt es: "In dem abgeschotteten Land werden Christen aufgrund ihres Bekenntnisses wie Staatsfeinde behandelt."
Nordkorea steht jedoch meist wegen anderer Themen in der Öffentlichkeit. Immer wieder wird über das umstrittene Atomprogramm des Landes debattiert, riesige Paraden werden dem derzeitigen Präsidenten Kim Jong-Il vorgeführt und Propaganda-Orte errichtet. Ein Beispiel dafür sind Kirchen in der Hauptstadt Pjöngjang, mit denen ausländischen Besuchern gezeigt werden soll, dass man sich an die staatlich garantierte Religionsfreiheit hält. Gottesdienste werden für ausländische Besucher inszeniert. Doch die Wahrheit sieht anders aus: Menschen müssen sich vor riesigen Standbildern des früheren Präsidenten Kim Il Sung verbeugen, zum Teil auch ausländische Besucher. Die Verehrung und Anbetung eines anderen Gottes duldet Kim Jong-Il nicht.
"Christen müssen täglich 18 bis 20 Stunden Schwerstarbeit leisten"
In über 30 Arbeits- und Straflagern werden zahlreiche Einwohner gefangen gehalten. Laut Open Doors könnten 50.000 bis 70.000 Christen darunter sein. "Christen gelten als politische Straftäter und müssen täglich 18 bis 20 Stunden Schwerstarbeit leisten, bis sie vor Erschöpfung oder durch Folter sterben", so Open Doors nach einem Augenzeugenbericht. Auch IGFM bestätigt, dass es nach Angaben früherer Aufseher Fälle gäbe, in denen Christen in Lagern vor ihrer Erschießung ihre eigenen Gräber ausheben müssten.
Die aus Nordkorea geflüchtete Soon Ok Lee berichtete bereits 2005 in ihrem Buch "Lasst mich eure Stimme sein!" davon: "Wer sich weigert, seinem Glauben an Gott abzusagen, landet im Gefängnis oder KZ". Die Nordkoreanerin war selbst sechs Jahre lang in Nordkoreas Arbeitslagern inhaftiert und hat dort auch das Leiden der Christen hautnah miterlebt. In ihrem Buch berichtet sie, dass Christen die "allerschlimmsten und gefährlichsten Arbeiten" in den Gefängnissen zugeteilt bekommen und von den Wächtern und Offizieren besonders schlimm gefoltert werden, um ihrem Glauben abzuschwören – erfolglos.
"Eine der größten Verfolgungstragödien der Gegenwart"
Im "Jahrbuch zur Christenverfolgung", herausgegeben unter anderem vom Institut für Religionsfreiheit der Evangelischen Allianz, wird die Verfolgung von Christen als eine der "größten Verfolgungstragödien der Gegenwart" bezeichnet. Verletzungen der Menschenrechte, einschließlich vieler Rechtsbrüche auf religiösem Gebiet, seien im kommunistischen Nordkorea an der Tagesordnung, so Open Doors darin. Das Christentum werde weiterhin als gefährlicher ausländischer Einfluss betrachtet. Infolgedessen bemühen sich die nordkoreanischen Behörden sehr stark, das Christentum auszurotten.
Auch Joseph Juhn, Mitglied der Menschenrechtsorganisation Liberty in North Korea (LiNK) mit Sitz in Seoul und Los Angeles, bestätigt die Christenverfolgung: "Es gibt ganz sicher verfolgte Christen in Nordkorea." Juhn habe Videos über nordkoreanische Flüchtlinge bearbeitet, in denen die Flüchtlinge bezeugen, dass sie getötet werden könnten, weil sie in Nordkorea zur Kirche gegangen sind. Die Jura-Studentin Hyunjae Lee ergänzt: "Generell sind Menschenrechtsverletzungen in der Demokratischen Volksrepublik Korea extrem grausam. Aber noch schwerer geht es dort unseren Glaubensgenossen."
Zahlreiche Menschen in aller Welt bestätigen die grausamen Menschenrechtsverletzungen und die Verfolgung von Christen in Nordkorea. Doch die meisten sind sehr vorsichtig. Geben sie zu viele Fakten und Namen preis, steht das Leben vieler Nordkoreaner und Informanten auf dem Spiel. Die mit über 850.000 Mitgliedern weltweit größte Kirchengemeinde Yoido Full Gospel Church aus Südkorea sagte lediglich: "Dieses Thema ist zu heikel. Wir wagen es nicht, irgendwelche Dokumente zu veröffentlichen, die bestätigen, dass es Christenverfolgung in Nordkorea gibt. Aber es ist definitiv wahr."
Daniel Höly bloggt auf evangelisch.de.