Festival zeigt "Israel hinter den Fernsehbildern"
In seinem 17. Jahr wurde das Jüdische Filmfestival, das älteste Jewish Film Festival in Europa, endlich eingebürgert. Bisher hieß er immer Jewish Film Festival und daher dachten viele, es sei ein englischsprachiges Festival. In diesem Jahr bekam Festivalleiterin Nicola Galliner, die seit 1970 in Berlin lebt, einen deutschen Pass, was sie zur Umbenennung veranlasste. Ausnahmsweise startet das Festival in diesem Jahr in Potsdam, nicht in Berlin, weil Potsdam "100 Jahre Medienstadt" feiert. Zwei Wochen lang nimmt das Filmfest seine Gäste mit auf eine Reise in die israelische und jüdische Identität und Geschichte.
19.05.2011
Von Igal Avidan

Die Hälfte der 25 Filme im Programm kommt aus Israel. "Das liegt daran, dass die neuen israelischen Filme besonders gut waren. Im letzten Jahr waren es die amerikanischen", erklärt Galliner. Dabei wählte sie bewusst solche Filme aus, die "das Israel hinter den Fernsehbildern der Nachrichtensendungen" zeigen.

Da ist zum Beispiel "The Nature of Dreams", ein einfühlsames Porträt des Schriftstellers und Friedensaktivisten Amos Oz, der einen klugen Ausweg aus dem verfahrenen israelisch-palästinensischen Konflikt vorschlägt: Er wäre gern der Tontechniker bei den Verhandlungen. Dann würde er die Mikrofone abschalten, sobald eine Seite über die Vergangenheit zu sprechen beginnt und sie nur dann einschalten, wenn man über die Gegenwart und Zukunft redet.

Geschichten von palästinensischen Kindern

Einen völlig neuen Blick auf diesen Konflikt wirft Shlomi Eldars herausragender Dokumentarfilm "Chaim Jekarim", auf Deutsch "Teures Leben". Der Fernsehjournalist, der nach 15 Jahren nicht mehr nach Gaza reisen darf, verfolgte monatelang mit der Kamera die Rettungsversuche eines palästinensischen Säuglings aus Gaza vor dem Hintergrund der israelischen Blockade und der Raketenangriffe auf naheliegende israelische Ortschaften.

Die engen Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern auf der Leinwand werden anfangs durch das Blutvergießen und das große Misstrauen überschattet. Eldar erhebt im Film schwere Vorwürfe gegen die israelische Armee, hebt zugleich das meist ignorierte Engagement vieler Israelis hervor, das für ihn "das wirkliche Israel" ausmacht. Das Leben des Jungen wird durch die Spende eines Israelis gerettet, dessen Sohn beim Militärdienst ums Leben gekommen war.

Auch die satirische Fernsehserie "Arab Labor" des Autors Sayed Kashua ist mit neuen Folgen wieder dabei. Sie erzählt die Geschichte einer arabisch-israelischen Familie im täglichen Kampf zwischen Anpassung und Bewahrung der eigenen Identität. "Diese tolle Serie gehört absolut zu einem jüdischen Filmfestival, weil sie die Beziehungen zwischen jüdischen und arabischen Israelis thematisiert", sagt Galliner. "Wenn beide Seiten über einander lachen können, dann ist schon sehr viel getan".

Jüdisches Leben in Frankreich und Polen

Jüdische Musik stellt einen weiteren Schwerpunkt im diesjährigen Programm dar. In "100 Voices: A Journey Home" begeben sich 71 bekannte amerikanische Kantoren auf eine Konzertreise nach Polen, um an 1000 Jahre jüdischer Kultur in Polen zu erinnern. In dem Film "The Klezmatics: On Holy Ground" lernt man die Musiker der New Yorker Band kennen, die seit über 25 Jahren zur Spitze der internationalen Klezmer-Bewegung gehören.

Wie jedes Jahr erinnern einige Filme an die Shoah. Anlässlich des 50. Jubiläums des Eichmannprozesses läuft nicht nur ein Dokudrama über das Leben eines Nazi-Schreibtischtäters, "Eichmanns Ende", sondern auch ein Porträt seines israelischen Henkers. Der gläubige Schalom Nagar in "The Hangman" lebt mit einem Eichmann-Trauma und ließ sich nach der Hinrichtung zum rituellen Schächter ausbilden.

Wie immer spielt auch beim diesjährigen Festival die Suche nach jüdischer Identität in mehreren Werken eine Rolle, zum Beispiel in einer Dokumentation über die Geschichte der Juden in Frankreich oder das jüdische Leben in Berlin der 1930er Jahren, die der anwesende Regisseur Dan Wolman anhand seiner Familiengeschichte thematisiert.

Sohn der Festivalleiterin warb über facebook

Das bunte, abwechslungsreiche Programm ist "kein inner-jüdisches Event", betont Galliner, sondern richtet sich an Juden wie Nichtjuden, Alte und Junge, die in diesem Jahr zum ersten Mal über Facebook angesprochen werden – mit einer freundlichen Videobotschaft von ihrem Sohn Aharon. Das Programm entstand trotz großer Sparmaßnahmen aufgrund von Etatkürzungen in Höhe von 35.000 Euro, was einem Siebtel des Gesamtetats entspricht.

Aus Kostengründen musste das Festival weitgehend auf Untertitel und auf einen Katalog verzichten. Galliner konnte nicht alle Gäste einladen, die sie vorgesehen hatte, immerhin gelang es ihr aber, als Patin die Schauspielerin Iris Berben und als Schirmherrn den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck zu gewinnen. Das Festival wird vom Hauptstadt-Kulturfonds, dem Land Brandenburg, der Deutschen Klassenlotterie, dem Medienboard Berlin-Brandenburg und dem Zentralrat der Juden gefördert. Für das kommende Jahr, in dem das Jüdische Filmfestival 18 und damit "volljährig" wird, wünscht sich die Leiterin eine feste Förderung.