Die Menschen in Sachsen können sich auf eine gigantische Missionsveranstaltung einstellen, denn Kirchentagsveranstalter und Besucher wollen - neben dem eigenen Vergnügen und Diskutieren - natürlich auch das: Ihren Glauben bezeugen. Allerdings: Das Vermitteln christlicher Werte können sie sich sparen. "Nächstenliebe" oder "Barmherzigkeit" sind laut der Umfrage für eine überwältigende Mehrheit der Menschen in Ost und West - 90 Prozent - wichtig oder sehr wichtig.
Über den Unterschied zwischen Ost und West, den diese Umfrageergebnisse zeigen, wundert sich allerdings kaum jemand in den evangelischen Kirchen. "Durch zwei Diktaturen hat die Weitergabe des Glaubens im Osten einen Bruch erlebt", analysiert Dietrich Bauer, Dezernent für Gemeindeaufbau in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens. "Die Menschen sagen, sie seien ohne christlichen Glauben glücklich und könnten Probleme lösen."
Genauso erklärt auch Albrecht Steinäuser die große Schere zwischen Werten und Glauben: "Viele Menschen verbinden nichts mehr mit christlichem Glauben und führen die Werte nicht unbedingt auf das Christentum zurück." Steinhäuser ist Beauftragter der evangelischen Kirchen bei Landtag und Landesregierung im Lutherland Sachsen-Anhalt.
"Glaubst du an Gott?" ist keine leichte Frage
Reinhard Mawick, Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland, hinterfragt das Umfrageergebnis: "Glaubst du an Gott?" sei eine schwierige Frage. "Christlicher Glaube ist mehr als eine kognitive Antwort - es ist eine Lebenseinstellung, ein Lebenszusammenhang", meint der Theologe. Also doch: "Glaube und christliche Werte sind nicht zu trennen. Wir wissen, dass ganz viele Menschen Sehnsucht haben nach den Ausdrucksformen des christlichen Glaubens, nach einem inneren Kompass", ist Mawick überzeugt. Der Kirchentag in Dresden komme zur richtigen Zeit.
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Dietrich Bauer sieht das genauso: "Der Kirchentag wird eine wunderbare riesige Missionsveranstaltung. Nicht im platten Sinne, sondern als heilsame Irritierung." Als was? Der Kirchentag biete den Menschen neue Bilder an, erklärt Bauer - und die könnten irritieren, weil viele Menschen in den östlichen Bundesländern kein Bild von Kirche hätten, das "bunt" und "fröhlich" sei. Im Gegenteil: "lebensfremd, grau und ermattet" - so komme die Kirche in den Köpfen vor. "Man braucht einen langen Atem, um die Bilder zu verändern", weiß der Gemeindeaufbau-Experte aus Erfahrung.
Ein Kirchentag mag noch so fröhlich und bunt sein - er genügt nicht. Für alle, die mehr wissen wollen, bietet die Kirche in Sachsen Glaubenskurse für Erwachsene an, Unterrichtseinheiten für verschiedene Zielgruppen und mit unterschiedlichen Themen, in denen die Menschen ganz einfach lernen, was die Symbole und Begriffe des Christentums bedeuten. Diese Kurse haben zwei Ziele: erstens Bildung, zweitens - hoffentlich - das Bekenntnis der einzelnen Teilnehmer zum christlichen Glauben.
Die Menschen tun etwas und gehören dadurch zur Kirche
Dieses Bekenntnis muss aber von den Menschen selbst kommen, es lässt sich nicht erzeugen. Reinhard Mawick bringt das auf den Punkt: "Jeder bestimmt seine Nähe und Distanz zu Gott selbst. Wir bieten nur unsere Form an. Wir bieten die Freiheit, Ja zu sagen oder nein." Ein Angebot machen - so ist auch die Aktion "Taufsonntag" der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens zu verstehen: Für den 9. Oktober werden Familien eingeladen, evangelische Eltern mit ihren bisher ungetauften Kindern. Es wird ein großes Fest - doch auch damit ist es nicht getan. "Wir brauchen einen langen Atem", wiederholt Dietrich Bauer.
Einen etwas anderen "Missions"-Ansatz beschreibt Albrecht Steinhäuser für die Landeskirchen in Sachsen-Anhalt: Hier kommen die Menschen aus eigenem Antrieb, sie sammeln sich um die historischen Kirchengebäude in ihren Städten und Dörfen. Nicht um Gottesdienst zu feiern, sondern weil sie sagen: Wir müssen unsere Kirche erhalten als Ort der Gemeinschaft, als Zentrum. "Die Kirche ist für die Identität eines Ortes wichtig", erklärt Steinhäuser, "und der zweite Schritt wäre die Erkenntnis, das es auch um den Inhalt des Glaubens geht." Dazu kann es beispielsweise neue Formen von Veranstaltungen geben, um die Menschen zusammenzuführen.
Und da sie sich schon in der Kirche sammeln und zum ehrenamtlichen Engagement bereit sind, organisieren die Kirchen soziale Hilfsstrukturen, die gerade in ländlichen Gebieten mit zurückgehender Bevölkerung gebraucht werden. Die Menschen tun etwas und gehören dadurch zur Kirche. Bei diesem "Missionsmodell" gibt es eine große Offenheit gegenüber Nicht-Kirchenmitgliedern. Was zählt, ist das Mitmachen aus eigenem Antrieb.
Zeugnis geben und begründen
Doch nicht nur die Tat - auch das Wort ist wichtig. "Mission ist Aufgabe der Kirche und eines jeden Christen", sagt Albrecht Steinhäuser und verweist auf den Missionsbefehl im Matthäusevangelium, Kapitel 28. "Wir müssen stärker Zeugnis geben von dem, was uns Glaube bedeutet." Er selbst tut das ständig im Rahmen seiner beruflichen Aufgabe: Steinhäuser vertritt kirchliche Belange gegenüber dem Staat, zum Beispiel bei Gesetzgebungsverfahren.
"Wenn wir uns als Kirchen zu gesellschaftlichen Fragen äußern, muss klarer erkennbar sein, aus welcher Motivation wir uns zu Wort melden. Wir müssen erkennbar machen, dass wir angetrieben sind von der Kraft des Glaubens." Ein Beispiel dafür ist der Klimaschutz: "Es geht uns um Schöpfungsbewahrung. Wir bedienen nicht irgendwelche politischen Überzeugungen, sondern handeln aus Verantwortung vor Gott für die Welt."
So könnte Mission gestaltet werden in den Bundesländern, in denen nur 25 Prozent der Menschen sagen, dass sie an Gott glauben: Erklären und begründen. Zusammenhänge herstellen zwischen Glaube und Werten. Einladen und zusammenarbeiten. Da liegt die große Gelegenheit im Osten wie im Westen, und die Frage nach dem Glauben an einen Gott ist nur ein Teil davon. Daher bleibt Reinhard Mawick skeptisch: "Es spricht nichts gegen solche Umfragen, aber sie sagt über die religiöse Verfassung der Menschen wenig aus."
Anne Kampf und Hanno Terbuyken sind Redakteure bei evangelisch.de.