"Mich kotzen die ständigen Berichte über Griechenland an", schreibt ein Wut-Leser an eine deutsche Boulevardzeitung, "was kann der Normalbürger für die Situation? Nichts." Gewisslich hat er das Scherbengericht nicht bestellt. Aber spätestens der Doppelgipfel der europäischen Finanzminister, der an diesem Montag und Dienstag in Brüssel stattfand, zeigt, wer die Zeche zahlen soll - eben besagter "Normalbürger" und zwar in Griechenland, Portugal und Irland.
Wer trägt die Verantwortung - wer die Last?
Bei der Euro-Krise geht es vordergründig um Geld, um Haushaltsdefizite und Währungsrisiken. Aber die Euro-Krise hat vor allem eine soziale Kehrseite. Überbordende Staatsverschuldung, kreative Buchführung in Ministerien, Tricks im Statistikamt haben mehrere griechische Regierungen und nicht zuletzt die Spitzen der privaten Banken und der Zentralbank zu verantworten. Rentner, Arbeitslose und Gewerbe mögen von mancher Schuldenaufnahme profitiert haben, die Verantwortung für das hellenische Missmanagement - und gleiches gilt für Portugal und Irland - tragen jedoch die Eliten in Politik und Wirtschaft, nicht die "kleinen Leute". Doch sie sollen es nun büßen.
Portugal ist das dritte Land, dem die Europäische Union mit Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus der Patsche hilft. Im Mai vor einem Jahr hatten sie für Griechenlands neue Regierung ein Hilfspaket von 110 Milliarden Euro geschnürt, Irland wurden im November Hilfskredite von 85 Milliarden bewilligt und in dieser Woche wurde das mittlerweile unstrittige 78-Milliarden-Euro-Notpaket für Portugal abgeschickt. Die Hilfskredite werden nicht auf einmal ausgezahlt, sondern fließen nach und nach über drei Jahre. Mit den neuen Darlehen sollen vor allem auslaufende Schulden bei privaten Banken abgelöst werden. Frisches Geld würden die drei Staaten auf den Finanzmärkten nicht mehr kriegen.
Sparen, Sparen, Sparen...
Mit den Krediten sind Abkommen verbunden, deren Hauptziel die radikale Verringerung des Haushaltdefizits ist. Während die exportreichen EU-Kernstaaten mit üppigen Programmen auf Pump die eigene Wirtschaftskrise erfolgreich bekämpfen, muss die ärmere Peripherie ihre Ausgaben noch weiter senken. Um die überehrgeizigen Entschuldungsziele zu erreichen, die Brüssel und Washington diktieren, heißt es nun in Athen, Lissabon und Dublin sparen, sparen, sparen und beim "Normalbürger" abkassieren.
Darum hat etwa das irische Parlament die Einkommensteuer erhöht: Arbeiter werden so übers Jahr 1.000 Euro weniger in der Tasche haben, das Kindergeld sinkt um 10 Euro pro Monat und Nase, Pensionen werden um mehrere Prozent gekürzt. In Griechenland werden die öffentlichen Bediensteten deftige Gehaltseinbußen verkraften müssen, alle Zeitverträge laufen aus. Die oft erbärmlichen Renten werden gesenkt und die aufgestockte Mehrwertsteuer trifft vor allem kleinere Einkommensbezieher hart.
Schrumpfende Wirtschaft sonst eher in Afrika
Auch die Auswirkungen auf die Volkswirtschaften könnten katastrophal ausfallen. Wenn die Einkommen sinken, wird weniger konsumiert. Wenn dann auch noch der Staat weniger ausgibt, sind Rezession und Massenarbeitslosigkeit vorprogrammiert. In Griechenland stieg die Arbeitslosigkeit schon auf 15 Prozent, und die Wirtschaft am Peloponnes, in Irland und Portugal schrumpft. Eine schrumpfende Volkswirtschaft erwartet der IWF ansonsten weltweit nur noch für kriegsgebeutelte Länder wie Libyen oder Elfenbeinküste. Armes Europa.
Lahmende Unternehmen und hohe Arbeitslosigkeit führen außerdem zu niedrigeren Steuereinnahmen. "Es ergibt sich eine Dilemmasituation", warnt das Sozialwissenschaftliche Institut (SI) der Evangelischen Kirche in einem "Statement" zur Griechenland-Krise. Das bisherige Vorgehen habe aufgrund der "tief greifenden Sparauflagen" die Situation Griechenlands eher verschlechtert.
Marshallplan oder Schuldenschnitt
Doch Allheilmittel sind nicht in Sicht. Populär in Deutschland wäre ein einseitiger Schuldenschnitt, wie ihn Linke, Liberale und Banken fordern: Gläubiger verzichteten "freiwillig" auf 30 oder 50 Prozent ihrer Forderungen. Staat und Wirtschaft in den Fast-Pleite-Ländern dürften jedoch auch dann auf Jahre kein Geld mehr auf den internationalen Finanzmärkten kriegen oder nur zu superhohen Zinsen. Bei einer solchen Umschuldung "überwiegen die Risiken bei weitem", warnen die gewerkschaftsnahen Forschungsinstitute IMK in Düsseldorf, OFCE aus Paris und WIFO in Wien.
Noch läuft die EU-Politik auf eine sanfte Umschuldung hinaus. Durch die Rettungspakete werden faktisch die Laufzeiten der Schulden verlängert und die Zinsen herabgesetzt. Gleichzeitig übernimmt die Europäische Zentralbank immer mehr Schrottanleihen aus Irland, Portugal und Griechenland. Irland hat klammheimlich begonnen, im Kleinen umzuschulden.
Doch eine sanfte Umschuldung wird nicht genügen, um die drei Patienten zu retten. Helfen könnte ein Euro-Marshallplan. Mit einer solchen Investitionsoffensive rettete Amerika nach 1945 (West-) Europa. Jetzt sollte Kern-Europa nicht länger zögern, Europas "Normalbürger" und den sozialen Frieden zu retten. Die nächste EU-Verhandlungsrunde startet im Juni.
Hermannus Pfeiffer ist Wirtschaftsexperte und Journalist in Hamburg.