In Artikel 3 müsse es in Zukunft auch heißen, dass niemand wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden dürfe, sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders, am Montag in Berlin. Der Grundgesetzartikel lautet bisher: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Ein klares Bekenntnis zu den Rechten von Lesben und Schwulen fehle der Verfassung bisher, sagte Lüders.
Benachteiligung ist alltäglich
In der Beratungsarbeit der Antidiskriminierungsstelle spielen Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität nach wie vor eine große Rolle, so die Leiterin. So habe sich ein Mann an die ADS gewandt, der zusammen mit seinem Lebensgefährten eine neue Wohnung suchte. Mehrere Vermieter hätten die beiden Männer als neue Mieter abgelehnt, sobald sie erfahren hätten, dass es sich um ein homosexuelles Paar handelt.
Ein anderer Mann sollte Geschäftsführer bei einem großen Einkaufsverband werden. Nachdem der Inhaber herausgefunden habe, dass der Mann homosexuell ist, sei ihm ohne Begründung fristlos gekündigt worden. Einer Bundesbeamtin sei die Zahlung des Familienzuschlags bei eingetragener Lebenspartnerschaft von ihrem Dienstherrn verweigert worden. Eine andere Frau habe Geschäftsführerin werden wolle: Ihr sei gesagt worden, dass sie den Posten wegen ihrer Homosexualität nicht bekomme.
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Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) fordert die Gleichstellung von Homosexuellen in der Verfassung schon seit 1990. Im Grundgesetz müsse es heißen: "Niemand darf wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt oder bevorzugt werden." Die Grundrechtecharta der EU enthält bereits ein Verbot der Benachteiligung aufgrund der sexuellen Ausrichtung (Artikel 21). Weil die EU-Grundrechtecharta vom Bundestag und vom Bundesrat mit großer Mehrheit gebilligt wurde, fragt der Lesben- und Schwulenverband: "Warum soll dies im deutschen Grundgesetz nicht möglich sein?"
LSVD: "Zeit für einen neuen Anlauf"
Der LSVD verweist auf den historischen Hintergrund des Grundgesetzes: "Der Gleichbehandlungskatalog ist die Antwort auf die nationalsozialistische Selektions- und Verfolgungspolitik. Er ist geprägt von der Erkenntnis, dass die Menschlichkeit insgesamt gefährdet ist und Barbarei droht, wenn auch nur einer Gruppe von Menschen die gleichen Grund- und Menschenrechte streitig gemacht werden."
Dennoch habe man 1949 zwei Gruppen ausgespart. "Die Behinderten wurden im Rahmen der Verfassungsreform nach der deutschen Einheit 1994 endlich aufgenommen. Für die Aufnahme der Lesben und Schwulen fand sich damals noch keine ausreichende Mehrheit. Es ist nun Zeit für einen neuen Anlauf. Angesichts der Verfolgungsgeschichte der Homosexuellen im Dritten Reich, aber auch im Nachkriegsdeutschland der 50er und 60er-Jahre muss unsere Verfassung auch Schwulen, Lesben, Transgender und intersexuellen Menschen gleiche Rechte garantieren," heißt es auf der Internetseite des LSVD.
Gesetzesberatung im Bundestag stockt
Im März hat der Lesben- und Schwulenverband 50.000 Unterschriften an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) übergeben, um für eine Grundgesetzänderung zu werben. Der Forderung haben sich inzwischen viele Prominente aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angeschlossen. Auch die Ökumenische Arbeitsgruppe "Homosexuelle und Kirche" (HuK) hat die Prominenten-Initiative zur Ergänzung des Gleichheitsartikels im Grundgesetz von Anfang an unterstützt.
Ein Entwurf für eine Änderung des Grundgesetzes wurde im Januar 2010 von SPD, Grünen und Linken in den Bundestag eingebracht und in den Rechtsausschuss überwiesen. Dort nahmen in einer öffentlichen Anhörung im April 2010 einige Sachverständige Stellung. In ihren Rechtsgutachten kamen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen: einige plädierten für, andere gegen die Aufnahme des Diskriminierungsverbotes von Lesben und Schulen in Artikel 3 des Grundgesetzes. Die Befürworter warten jetzt auf eine zweite und dritte Lesung im Bundestag. Termine dafür gibt es bisher nicht.
Der Internationale Tag gegen Homophobie geht auf einen Beschluss der Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück. Diese hatte am 17. Mai 1990 vor 21 Jahren beschlossen, Homosexualität von der Liste der Krankheiten zu streichen.