Cannes erliegt dem vierten "Fluch der Karibik"
Beim Filmfestival von Cannes sind sowohl der Wettbewerb als auch die Reihe "Un certain regard" Bastionen des Autorenfilms. Aber das Festival leistet sich fast in jedem Jahr auch einen pompösen Kommerz-Film, von dem sich die Industrie einen Sommer-Blockbuster erwartet. In den letzten Jahren waren es neue Folgen von "Star Wars", "Indiana Jones" oder "X-Men", die außer Konkurrenz für ein bisschen Glamour sorgen sollten. Und nun "Pirates of the Caribbean: Fremde Gezeiten", der kommenden Donnerstag in den Kinos startet.
16.05.2011
Von Rudolf Worschech

Zumindest die Starpräsenz hat funktioniert: Die Hauptdarsteller Johnny Depp, Penélope Cruz, Ian McShane und Geoffrey Rush waren da, zusammen mit Regisseur Rob Marshall, Produzent Jerry Bruckheimer sowie Astrid Berges-Frisbey und Sam Claflin, dem schauspielerischen Nachwuchs. 2,7 Milliarden Dollar hatten die drei vorangegangenen "Pirates"-Filme eingespielt, die noch dazu dem schon totgeglaubten Filmgenre des Piratenfilms neues Leben eingehaucht hatten.

Dass da eine Fortsetzung kommen musste, war klar. Wobei die Teile zwei und drei schon nicht mehr die Frische des ersten Teils ausstrahlen konnten und sich in einer Handlung verloren, die man oft nicht anders als abgedreht bezeichnen konnte. Dem muss natürlich der vierte Teil noch eins draufsetzen. Von einem neuen Kurs, wie zum Beispiel bei den "Batman"-Filmen Christopher Nolans, ist da keine Spur.

Die Mischung aus Rock'n'Roll und Stinktier wird zur Nebenfigur

Und der Film setzt auch eine Linie fort, die schon in den beiden letzten Teilen angelegt war: Captain Jack Sparrow wird immer mehr eine Nebenfigur. Obwohl doch sein Darsteller mit 55 Millionen Dollar Honorar ein Viertel des Produktionsbudgets verschlungen haben soll. Immer noch stakst Depp somnambul durch den Film, mit Kajal um die Augen und mehr Glück als Verstand. Er verstehe Sparrow als eine Mischung aus einem Rock'n'Roll-Star des 18. Jahrhunderts und einem Stinktier, sagte Depp auf der Pressekonferenz.

Aber Jack Sparrow hat in dieser Fortsetzung starke Mitspieler: den skrupellosen Piraten Blackbeard (Ian McShane) etwa, auf dessen Schiff es ihn verschlägt und mit dessen Tochter (Penelope Cruz) ihn so etwas wie eine grimmige romantische Affäre verbindet. Sie sind auf der Suche nach dem Jungbrunnen, verfolgt von einem britischen Kommando unter der Führung von Sparrows ewigem Rivalen Barbossa (Geoffrey Rush) und den Spaniern.

Die Handlung ist sicherlich nicht so zerfasert wie die des zweiten und dritten Teils, sie gleicht aber mehr einem Fantasy-Film denn einem Piratenabenteuer, mit Untoten, Telekinese und Meerjungfrauen. Das mag man noch als Hommage an das Seemannsgarn hinnehmen, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Figur des exzentrischen Piraten in Teil eins eine Novität war, in den Fortsetzungen, diese eingeschlossen, aber kaum Fahrt aufnehmen konnte.

Der große Gegensatz: "Be Omid e Didar"

Einen größeren Gegensatz zwischen diesem unbedarften Popcorn-Kino und dem mit sparsamen Mitteln erzählten iranischen Beitrag "Be Omid e Didar" (Good Bye) von Mohammed Rasoulof kann es kaum geben. Rasoulof ist im Dezember 2010 gemeinsam mit Jafahr Panahi zu 20 Jahren Reise- und Berufsverbot verurteilt worden, bei der diesjährigen Berlinale gab es Solidaritätsaktionen. Trotz zeitweiligen Hausarrests konnten beide Filme realisieren, auch Panahis neueste Arbeit folgt noch im Programm des Festivals - unter welchen Bedingungen beide Arbeiten entstanden, weiß man nicht genau.

Rasoulof selbst konnte nicht zur Premiere seines Films in der Reihe "Certain regard" kommen, aber seine Frau war auf dem Podium, erzählte, dass er gerade wieder von den Behörden einbestellt wurde. Und von deren Funktionieren versteht man einiges, wenn man "Be Omid e Didar" gesehen hat: Erzählt wird die Leidensgeschichte einer jungen Anwältin, der die Ausübung ihres Berufes unmöglich gemacht wird.

Die Juristin wird drangsaliert, man schickt sie auf sinnlose Behördengänge, nimmt ihr die - sowieso nicht funktionierende - Satellitenanlage ab und durchsucht ihre Wohnung. Alle wahren die Contenance in diesem Film, die unauffälligen Vertreter der Staatsmacht wie die Anwältin, die ihnen Tee anbietet. Und das ist der unterschwellig grausame Beigeschmack, den dieser Film hat: wie sehr Willkür im Iran zur Tagesordnung gehört.

epd