"Mittelmaß ist normal": Lena verliert und schlägt sich gut
Die Mission Titelverteidigung ist zwar gescheitert, aber Lena hat trotzdem gute Laune. Sie belegte am Samstagabend beim Eurovision Song Contest in Düsseldorf Platz zehn. Die Grand-Prix-Krone gab sie an Aserbaidschan ab, die zum ersten Mal den Sieg holen konnten. Nächstes Jahr geht es also nach Baku zum Schaulaufen und -Singen.
15.05.2011
Von Christoph Driessen und Patrick T. Neumann

Für Aserbaidschan ist es der erste Sieg in der 55-jährigen Grand-Prix-Geschichte. Nun dürfte sich das kleine vorderasiatische Land kollektiv auf den ESC 2012 freuen, der vermutlich in der Hauptstadt Baku über die Bühne gehen wird. Schon im Juni sollen die Vorbereitungen für den nächsten Song Contest beginnen. Als Termin für das Finale ist der 26. Mai 2012 vorgesehen.

Aserbaidschan blickt auf eine kurze, aber erfolgreiche Geschichte beim Grand Prix zurück. Vor dem Sieg von Düsseldorf hatte das Land erst dreimal an der weltgrößten Musikshow teilgenommen und es jedes Mal in die Top 10 geschafft. "Die Welt braucht mehr Gefühl", antwortete Eldar Qasimov auf die Frage nach dem Erfolgsrezept. Er hatte sich mit seiner Duettpartnerin in einem spannenden Herzschlagfinale erst sehr spät mit zuletzt 221 Punkten vor Italien (189) und Schweden (185) setzen können. Im Finale waren alle 43 diesjährigen Grand-Prix-Teilnehmer stimmberechtigt, also auch die Nationen, die bereits im Halbfinale ausgeschieden waren.

Für Lena nur oberes Mittelfeld, dafür war Anke Engelke erste Sahne

Lena ließ sich in ihrer Reaktion kurz nach der dreistündigen Show keine Enttäuschung anmerken. "Es geht mir fantastisch", sagte sie in der ARD zu Platz zehn mit 107 Punkten. "Ich fühl mich wie auf Wolke 2.000. Von mir fällt ein Riesenstein." Auch ihre Fans scheinen mit Platz zehn leben zu können. Die 12.000 Zuschauer beim Public Viewing in Lenas Heimatstadt Hannover freuten sich größtenteils über die Performance und feierten eine ausgelassene Grand-Prix-Party - ebenso wie tausende Fans auf der Hamburger Reeperbahn und am Rheinufer in Düsseldorf.

Und sie alle hingen um 22.15 Uhr noch einmal an Lenas Lippen. Sie schaut verrucht in die Kamera, haucht mystisch "Taken By A Stranger" und wirkt so schrecklich erwachsen. No more Göre, Lena? Als sie drei Minuten später die Bühne verlässt, ist das so etwas wie ein Abgang. Es könnte ihr letzter ganz großer Auftritt gewesen sein.

Diesmal keine "twelve points for Germany", keine vor Nervosität an der Deutschlandflagge knabbernde Lena. Diesmal nur oberes Mittelfeld. Es war zwar ein Abend, an dem es viele Komplimente für eine Deutsche gab, doch diese Deutsche hieß Anke. Anke Engelke. Die parlierte so bravourös auf Englisch und Französisch, war so locker und witzig, dass ihr ein Juryvorsitzender nach dem anderen versicherte, wie "amazing" und "wonderful" sie sei. Das hat zwar irgendwie Tradition beim Grand Prix, aber war diesmal schon auffällig.

Aber auch ihre Moderatoren-Partner Judith Rakers und Stefan Raab machten ihre Sache gut: "Tagesschau"-Sprecherin Rakers zeigte sich als Diva in silbrig glänzenden Galakleidern. Raab überzeugte weniger als Moderator denn als musizierender Entertainer. Seine Show-Eröffnung mit "Satellite" - Lenas Gewinnersong von 2010 - war ein Kracher: Rockig und mit Big-Band-Unterstützung interpretierte er das Lied völlig neu. Auch die Eurovisions-Hymne durfte Raab kurz vor der Verkündung der Ergebnisse mit der E-Gitarre selbst interpretieren, was ihm sichtlich Spaß und Anbetung von Anke Engelke einbrachte.

"Mittelmaß ist normal", und da fühlt sich Lena auch wohl

Lena selbst kam während der Punktevergabe gar nicht mehr ins Bild. Sie hat immer wieder gesagt, dass ihr das nichts ausmachen würde. "Mittelmaß ist normal", betonte sie im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. "Und dann gibt es Zeiten, da läuft's besonders gut, und andere, da läuft's besonders schlecht. Und deshalb ist es für mich überhaupt kein Problem, auch mal Mittelmaß oder schlecht zu sein."

War es falsch, dass Lena dieses Jahr noch einmal angetreten ist? Unter finanziellem Gesichtspunkt ist die Antwort eindeutig: Nein. Denn ohne die massive Werbung bei "Unser Song für Deutschland" wäre ihr Album kaum sofort auf Platz 1 geschossen.

Und die ideelle Seite? Zwangsläufig wird sie ihren Landsleuten nun nicht nur als die grandiose Gewinnerin von 2010 in Erinnerung bleiben, sondern auch als die solide Zehntplatzierte von 2011. Und das Bild von der unbekümmerten, leicht abgedrehten Abiturientin, die alles nicht so ernst nimmt, hat sich dieses Jahr verändert.

Lena ist nicht Kate Middleton

Aus Lovely Lena ist ein Medienprofi geworden, der Interviews in Serie gibt. In der vergangenen Woche bildete die schmale junge Frau in Düsseldorf das Zentralgestirn eines kleinen Sonnensystems, um das sich ohne Unterlass Journalisten, Kameraleute, PR-Menschen und Musikexperten drehten. Das entfernte sie ein wenig von den Fans: Während Lena häufig abgeschirmt wurde, gaben sich ihre Konkurrenten im Pressezentrum und bei Fan-Events die Klinke in die Hand, herzten die ESC-Gemeinde, ließen sich fotografieren und trällerten einfach mal so drauflos.

Aber jetzt ist der Düsseldorfer Grand Prix vorbei und für Lena beginnt eine ganz neue Zeit, schließlich ist sie keine Kate Middleton, der Aufmerksamkeit bis zum Staatsbegräbnis garantiert ist. Zwar sagt sie immer, dass Tusch und Fanfare ihr nicht wichtig seien, aber ohne Zweifel hat sie den Ehrgeiz, keine zweite Nicole zu werden. Noch in diesem Jahr geht sie wieder auf Tournee, allerdings nicht mehr durch die Arenen, sondern durch Clubs und kleinere Hallen. Vielleicht gelingt es ihr, sich eine feste Fangemeinde zu erhalten. Das wäre ihr zu gönnen. Aber das Li-La-Lena-Land ist jetzt Geschichte.

dpa